Pensionistin Gertrude Chmel ist Anrainerin und ehemalige Mitarbeiterin der Glanzstoff-Fabrik in St. Pölten und fühlt mit den von der Schließung des Werks Betroffenen mit.

Foto: Christian Fischer
Foto: Christian Fischer

St.Pölten - Die zwei Fabrikstürme sind schon aus der Ferne zu sehen. Noch einige hundert Meter vor Erreichen des Glanzstoff-Werks in St. Pölten strömt ein unangenehmer, an faulende Eier erinnernder Geruch in die Nase. 100 Kilogramm Schwefelkohlenstoff und zehn Kilogramm Schwefelwasserstoff steigen pro Stunde aus den beiden Fabriksschloten des Viskosegarnproduzenten, der sich mitten im Stadtgebiet befindet, auf. Noch.

Seit Ende vergangener Woche steht fest, dass der 1904 gegründete Betrieb in der niederösterreichischen Landeshauptstadt sein Werk schließt. Die Emissionswerte sind den Behörden um das Drei- bis Vierfache zu hoch. Die Auflagen, die nach einem Brand des Werks im Jänner gefordert wurden, dem Firmenmanagement nach "nicht umsetzbar" . Mehr als 300 Beschäftigte verlieren Ende des Jahres ihren Job.

Unter den Arbeitern sind viele von Gertrude Chmels Bekannten. "Zahlreiche Familien sind betroffen. Es sind alle am Boden zerstört", sagt sie, zieht ihre Stirn in Falten und blickt Richtung Fabriksschlot, den sie von ihrer Haustür aus sehen kann. "Viele sind schon über 45 Jahre alt, die bekommen nirgends mehr eine Arbeit , ist sich die Pensionistin sicher. Sie arbeitete selbst zehn Jahre lang für Glanzstoff und fühle mit den Betroffenen mit.

Eine ihrer Nachbarinnen, Regina Kafka, war auch einmal für Glanzstoff tätig. "Jetzt bin ich aber gottseidank schon in Pension." Die 61-Jährige glaubt, den an der Schließung Schuldigen zu kennen: "Die Stadt hätte das auf alle Fälle verhindern können" , meint sie. "Es ist furchtbar für die Leute, die dort zum Teil 30 Jahre lang gearbeitet haben. Ich verstehe, dass sie verzweifelt sind."

Kritik an Bürgermeister Matthias Stadler (SP) kam auch von Landeshauptmann Erwin Pröll (VP) wegen mangelnden Engagements der Stadt in Verfahrensangelegenheiten. Der Ortschef wies alle Vorwürfe von sich. Es sei "rasch und professionell" gehandelt worden.

Ob die Stadt, das Land oder die Unternehmensführung die Verantwortung für die Schließung trägt, ist einem Geschäftsinhaber in der Nähe des Geländes egal. Der nun entfachte Polit-Streit ärgere ihn: "Jeder schiebt dem anderen die Schuld zu, aber der Arme ist der Arbeiter" , sagt der Mann, der lieber anonym bleiben möchte. Für ihn persönlich bedeute das Ende für die Produktion der Firma Glanzstoff vor allem einen Verlust von Kunden. Und einen "Schock für die Arbeiter" , von denen er viele persönlich gut kenne.

Eine betroffene Mitarbeiterin will zur Stimmung im Werk nicht viel sagen: "Es ist schwierig. Wir versuchen alle, uns damit abzufinden." Eines sei ihr aber noch wichtig zu betonen: "Das Ganze ist von den Behörden ausgegangen, von der Stadt." Günther Bannholzer, Obmann der Plattform "Pro St. Pölten" , hält die Schließung für "eine unternehmerische Entscheidung, die so zu akzeptieren ist".

Er sehe sie "mit einem lachenden und einem weinenden Auge" . Wegen der Sorge um Gesundheit und Umwelt kämpfte seine Initiative für die Installation von stärkeren Filtern bei Glanzstoff. Während das Aus für für Umwelt und Gesundheit positiv sei, sei es für die Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, schlecht.

"Auf Umwelt nie geschaut"

Der Fabriksschließung durchaus etwas abgewinnen, kann der Gast einer nahe der Fabrik gelegenen Imbissstube: "Es geht um die Frage, was mehr wiegt: Arbeitsplätze oder der Schutz der Umwelt. Auf Umweltstandards ist hier nie geschaut worden. Kinder in der Gegend sind lungenkrank. Leute, die jahrelang in dem Betrieb gearbeitet haben sind schwer beeinträchtigt", erzählt der Mann, der in der Gegend aufgewachsen ist und nun wieder hier wohnt. Er glaubt, dass auch die Traisen und das Erdreich rund um das Werk gelitten habe und ein "permanenter Umweltschaden" entstanden sei. Wobei der Gestank in seiner Intensität "nicht mehr so schlimm" sei wie früher: "In der Früh hast manchmal geglaubt, es hat der Hund oder die Katze aufs Fensterbrett g'schissen." (Gudrun Springer, DER STANDARD, Printausgabe, 22.7.2008)