Belgrad/Wien - Ein anonymer Anruf beim serbischen Geheimdienst BIA soll den entscheidenden Hinweis zur Festnahme des in Belgrad als Wunderheiler getarnten mutmaßlichen bosnisch-serbischen Kriegsverbrechers Radovan Karadzic geliefert haben. "Überprüfen Sie (ihn), weil mich seine Stimme sehr an jene von Karadzic erinnert", sagte der Anrufer mit "ernster Männerstimme" einem BIA-Mitarbeiter, wie die serbische Tageszeitung "Blic" (Sonntagsausgabe) unter Berufung auf Ermittlerkreise berichtet.

Der Anrufer machte den Geheimdienst auf einen Alternativmediziner mit weißem Rauschebart aufmerksam, der als "Doktor Dragan Dabic" auf Vortragsreisen durch Serbien tourte, das Alter Ego von Karadzic. Dem Hinweis wurde laut "Blic" keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt, weil es schon viele dieser Art gegeben habe und sie sich alle als falsch herausgestellt hätten. Auch diesmal habe man erwartet, "dass nichts rauskommt", schreibt die Zeitung. Doch dann setzte es für die Geheimagenten einen Schock: Nach sechs Wochen Observierung von Dabic stellte sich heraus, dass es sich bei ihm tatsächlich um Karadzic handle. Dieser habe bei seiner Befragung durch die BIA-Mitarbeiter sofort zugegeben, der gesuchte Angeklagte des Haager UNO-Tribunals zu sein.

"Niemand" soll Kopfgeld erhalten

Politisch interessant ist die Frage, wer von der wochenlangen Observierung Karadzic wusste und warum es sechs Wochen dauerte, bis der Zugriff erfolgte. Die Observierung begann noch unter dem von der neuen pro-westlichen Regierung abgesetzten Geheimdienstchef Rade Bulatovic. Er ist ein Parteifreund des abgewählten national-konservativen Premiers Vojislav Kostunica, dem nachgesagt wird, keinen besonderen Eifer bei der Verfolgung flüchtiger Angeklagter des Haager UNO-Tribunals an den Tag gelegt zu haben. Es dürfte somit kein Zufall sein, dass der Zugriff auf Karadzic nur wenige Tage nach dem Wechsel an der Regierungs- und Geheimdienstspitze erfolgte.

Der anonyme Anruf beantwortet auch die Frage, wer jene fünf Millionen US-Dollar (3,18 Mio. Euro) Kopfgeld erhalten wird, die seit Jahren auf den früheren bosnisch-serbischen Präsidenten ausgesetzt waren: Niemand.

"Er war auf niemanden böse"

Auf seine Verhaftung habe Karadzic gefasst reagiert. Gegenüber dem Untersuchungsrichter habe er gleich seine Identität zugegeben, erfuhr "Blic" aus Justizkreisen. "Er hat niemanden angeklagt, und war auf niemanden böse", sagte der Gewährsmann. "Er sagte nur, dass seine Festnahme der Anfang vom Ende der Republika Srpska (des serbischen Landesteils von Bosnien-Herzegowina) ist". Seine Tarnung habe er freiwillig abgelegt, und selbst einen Friseur verlangt, der ihm Bart und Haare abschneiden sollte. Auch einer ärztlichen Untersuchung habe er zugestimmt, die ergeben habe, dass er "in ausgezeichnetem Zustand ist".

"Das kenn ich schon alles"

In Haft ersuchte Karadzic, alle Tageszeitungen und eine Flasche Mineralwasser zu bekommen, "das er später selbst bezahlt hat". Die Anklageschrift habe er kommentarlos entgegengenommen, "auf die Art: Das kenn ich schon alles", sagte der "Blic"-Kontaktmann. Nur einmal habe Karadzic Emotionen gezeigt: Als ihm mitgeteilt wurde, dass der internationale Bosnien-Beauftragte Miroslav Lajcak seiner in der Republika Srpska lebenden Familie keine Besuchserlaubnis für Belgrad erteilt habe. "Er hat nichts gesagt, aber sein Blick und sein Gesichtsausdruck verrieten, dass ihn das getroffen hat." (APA)