Salzburg - Über Literaturpreise sagte A. L. Kennedy schon vor Jahren, diese "machen eigentlich keinen Sinn". Daran hält die aus dem schottischen Dundee gebürtige Schriftstellerin immer noch fest, auch wenn sich die Auszeichnungen, mit denen sie bedacht wurde, zuletzt häuften. In Salzburg wurde Kennedy am Sonntag der mit 25.000 Euro dotierte Österreichische Staatspreis für Europäische Literatur 2007 überreicht.
Für die Autorin, deren jüngster Roman "Day" zuletzt den britischen Costa- sowie den neugestifteten Eifel-Literaturpreis erhalten hat und die dies zwar "wirklich nett" findet, bedeutet das einen langen Nachmittag voller Interviews. Das gehört dazu. Und wenn Kennedy trocken und fast unbeteiligt sagt, diese Ehrungen "passieren mir ab und an", steckt dahinter keine falsche Bescheidenheit, sondern ein aufrichtiges Eintreten allein für die Literatur als solche.
Denn Kennedy, die als scharfe Kritikerin der Politik eines Blair und Bush bekannt ist, setzt sich vehement gegen den "kulturellen Verfall" ihres Landes ein. "Wir verbrennen keine Bücher, aber wir lassen sie still und leise verschwinden", sagt sie. Das britische Bibliothekswesen sei ebenso kaputt wie das Schulsystem, bemängelt sie. Lektoratsentscheidungen würden primär nach kommerziellen Kriterien getroffen. Ernsthafte literarische Werke hätten schwindende Chancen, publiziert zu werden, rezensiert würden sie schon gar nicht. "Dass Sie als Interviewerin mein Buch gelesen haben, wäre in England schon eine Überraschung", sagt Kennedy. Dort werde sie von Journalisten, "die dann über meine Kleidung schreiben und gekränkt sind, weil ich nicht geschminkt war", meist gebeten, ihren letzten Roman erst zusammenzufassen. "Das ist skurril, du gibst ein Interview, weil dein Buch soeben erschienen ist und kannst nicht über dieses Buch sprechen, weil die Journalisten es nicht gelesen haben. Und es womöglich niemals lesen werden."
Politik und Humor
All das führe dazu, "dass wir einsamer, ängstlicher und anfälliger für Manipulation durch Werbung, Politiker und Journalisten werden." Im Guardian schrieb Kennedy regelmäßig Kommentare. Wenn britische Zeitungen sie zu Wort kommen lassen, "erwarten sie, dass ich zwar über Politik schreibe, aber das möglichst witzig". Kennedy spricht von Selbstzerstörung, Vernichtung, einem "Verlust der Menschlichkeit", die doch im kulturellen Erbe eines Volkes läge. "Wir sind dabei, unsere eigene Kultur zu zerstören." Zum Glück gebe es noch Leser, die sich, von Öffentlichkeit und Buchmarkt alleingelassen, selbst organisieren und "verteidigen, was sie lieben".
Kennedy selbst liest seit sie drei Jahre alt war - "das macht vieles einfacher". Robert Louis Stevenson gehört zu ihren favorisierten Autoren, Shakespeare hat sie immer wieder und wieder gelesen, die großen Russen und natürlich James Joyce. Mit Letzterem wurde der gewaltige, forsche und mitreißende Sprachfluss ihrer Romane, in dem eine ungeheure poetische Kraft liegt, häufig verglichen. "Ich sehe keinen großen Unterschied zwischen Lyrik und Prosa, auf einer bestimmten Ebene ist es dieselbe Sache."
Dass sie den "Kulturverfall" aufhalten könne, würde sie nie sagen. "Man muss hart arbeiten, um die Kultur am Leben zu erhalten." Das tut die 42-Jährige seit zwanzig Jahren. Auf Deutsch erschien der Großteil ihrer zahlreichen Werke im Wagenbach Verlag.
Trotzdem, versichert Kennedy, arbeite sie sehr genau: Ein, zwei Jahre denke sie über einen Roman nach, ehe sie noch einmal so lange an ihm schreibe. Eine Figur wie Alfred in "Day", ein Mann, der sich freiwillig zum Krieg gemeldet hat und als Heckenschütze seinen Lebenssinn zu finden glaubt, könne sie deshalb so präzise aus ihrem tiefsten Inneren heraus begreifbar machen, weil: "Wenn du dir jemanden mehrere Jahre lang vorstellst, kennst du ihn sehr gut!" Auch dafür will sie nicht gelobt werden. "Es ist spannend", sagt diese Meisterin der Untertreibung über ihr Schreiben "und ich habe sonst nichts zu tun." (Isabella Hager/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26./27. 7. 2008)