Petronell-Carnuntum - Mit jener Ewigkeit, die sein biologischer Abbau braucht, liefert Kunststoff wohl die besten Voraussetzungen, um griechische Mythen zeitgemäß einzufangen.

Ein ordentlicher Flecken davon war für Ariadne letzten Samstag im Amphitheater von Carnuntum auf vier Hydraulikpfosten gespannt. Mit simpler Mechanik und der Spannkraft von viel bewährtem PVC hob also die andalusische Theaterformation Atalaya (Sevilla) im Auftrag von "Art-Carnuntum"-Chef Piero Bordin den gesamten mythologischen Wohnraum der kretischen Königstochter aus einer hundert Quadratmeter großen, weißen Plastikplane: Menschliche Untiefen und Höhenflüge, göttliche Erhabenheit und Herablassungen, sowie die diversen Schräglagen dazwischen - sie alle bauschten sich fast ausschließlich aus dem Bodenbelag (Bühnenbild: Juan Ruesga) auf.

Denn das aktive Handlungsleben der antiken Heldin (Silvia Garzón, bzw. Aurora Casado) hat der Regisseur Ricardo Iniesta mit seinem achtköpfigen Ensemble in brachialen, statuettenförmigen Großgesten - also überwiegend doch eher unnahbar - dieser Landschaft aufgesetzt.

Anmutig stelzt Ariadne durch ihr Prinzessinnen-Dasein. Ihren Halbbruder, den gefräßigen Minotaurus, verrät sie für ihren Geliebten Theseus (Joaquin Galán), einen martialischen Gockel aus der Gegnerriege ihres Elternhauses. Der wiederum lässt sich von einem händeringenden, ausgiebig fröhlichen Dionysos (Jéronimo Arenal), dem rauschhaften Gott des Theaters und des Weines, verblenden. Kaum also mit Theseus durchgebrannt, wird Ariadne von ihm auf Naxos auch schon wieder zurückgelassen. Dort bereitet sie sich dann auf ihr göttliches Ende vor: auf das Leben als Dionysos' Gemahlin.

Mix mit Ethno-Klängen

Es mag an der spanischen Textlast des Stückes liegen, dass Ariadnes Werdegang, aufgepeppt mit einem Untermalungsmix aus ethnischen Konservenklängen und durchdringenden Beschwörungsgesängen, an manchen Stellen etwas hölzern gerät.

So ganz ohne Übersetzungshilfe geht denn auch ein angepriesenes Überlieferungskonglomerat des jüngst verstorbenen Theatermachers Carlos Iniesta verloren. Dieser hatte gemeinsam mit seinem Bruder und Regisseur bereits während des Franco-Regimes an der spanischen Theatergeschichte mitgeschrieben und dem diktatorischen Generalissimus wortkräftiges Agitprop-Theater entgegengestellt. Einen Teil dieser Energie konnte man in Petronell-Carnuntum zumindest im visuellen Rüstzeug von Atalaya spüren. Der wahre Dionysos weilte aber woanders.  (Georg Petermich/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26./27. 7. 2008)