Wegen der gröblichen Vernachlässigung ihrer vierjährigen Tochter mussten sich am Dienstag eine 33-Jährige und ihr 37-jähriger Lebensgefährte vor dem Wiener Straflandesgericht verantworten. Nach einem routinemäßigen Besuch des Jugendamts im Sommer 2007 war das Mädchen in Pflege gegeben worden. Die Vierjährige konnte laut Anklage damals kaum sprechen, wurde allein im Kinderzimmer eingesperrt und besaß keine passenden Schuhe. Die Kleine habe merkliche Defizite bei der geistigen und gesundheitlichen Entwicklung und zeige ein auffälliges Sozialverhalten.

Nach der ersten Verhandlung im April wurden am Dienstag mehrere Zeugen befragt, darunter die erste Pflegemutter der Vierjährigen. "Sie hat nur 'Au!' geschrien, 'Ball' und 'Geh weg!'", schilderte die 68-Jährige das sprachliche Verhalten der Vierjährigen. Die Kleine sei mit wunden Fersen zu ihr gekommen, die Sozialarbeiter hätten in der Wohnung nicht einmal passende Schuhe für sie gefunden.

Die Mutter der Vierjährigen erschien heute nicht zur Verhandlung und ließ sich wegen Krankheit entschuldigen. Der Urteilsverkündung wurde daher vertagt.

Keine Arztbesuche

Laut Anklage hatten sich die Eltern kaum mit dem Mädchen auseinandergesetzt und es in ein Zimmer mit ungesicherten Fenstern gesperrt. Auch die gesundheitliche Versorgung bei Krankheiten und kleinen Verletzungen wurde unterlassen. Die 33-Jährige aus Floridsdorf hat zwei weitere Kinder, die ihr bereits vor der Geburt des Mädchens im Sommer 2003 vom Jugendamt abgenommen worden waren. Als Zeugin geladen war daher jene Sozialarbeiterin, welche die Lebensumstände für die heute Vierjährige im ersten Lebensjahr positiv beurteilt hatte. Die Entwicklung und Pflege des Babys sowie die Wohnung seien in Ordnung gewesen, vereinbarte Treffen wurden eingehalten, erklärte die Betreuerin. Nach einem halben Jahr habe man daher eine kontinuierliche Betreuung nicht mehr als notwendig erachtet.

Die beiden anderen Sprösslinge der 33-Jährigen blieben wegen der langen Trennung von der Familie weiterhin in Pflege. Durch einen Jugendamts-Besuch wegen dieser beiden Kinder wurden die Missstände allerdings erst entdeckt. Entlastungszeugen - die Nachbarin und ein Freund der Familie - bestritten diese: "Vernachlässigt hat sie nicht ausgesehen - ein kleines liebes, aufgewecktes Mädchen", betonte die Frau.

Der Aufenthalt bei Pflegefamilien dürfte der Vierjährigen laut einem Gutachten gut tun: Nach nur zwei Monaten besserte sich der Zustand des Mädchens massiv. Sie habe gemäß ihrer Fähigkeiten acht Monate dazugewonnen und könne bereits Sätze bilden. Die Ursachen für die verzögerte kognitive Entwicklung des Mädchens werden noch untersucht. Die Mangelversorgung durch die Eltern könne laut einer Sachverständigen zu den Defiziten zumindest beigetragen haben. (APA)