Pernegg - wie man sieht ein gutes Versteck, um Buße zu tun.

Foto: Diabetes Austria

Ulrich II. soll ein ja reges Lotterleben geführt haben, ehe er 1153 die Kloster Pernegg und Geras im nördlichen Waldviertel gründete, um Buße zu tun. Es kann also kein Zufall sein, dass heute, 855 Jahre danach, im Seminarhotel Pernegg hinter Klostermauern, Gäste einkehren, die sich vom Übermaß zurückziehen wollen - und fasten. Seit kurzem können das auch Diabetiker: Körper und Geist entschlacken inmitten der gar nicht so kargen Region rund um Horn.

Man fragt sich, warum bisher eigentlich noch niemand auf die Idee kam, Fasten für Zuckerkranke anzubieten: In Österreich sind etwa 400.000 bis 500.000 diagnostiziert. 95 Prozent sind Typ-2-Diabetiker: eine Krankheit, die oft als Folge von Fettleibigkeit entsteht. Das körpereigene Hormon Insulin, das aufgenommene Kohlehydrate in Energie umwandelt, kann seine Wirkung aufgrund reichlicher Körperpolsterung nicht mehr entfalten. Wer sich darauf nicht einstellt, den Diabetes nicht mit Medikamenten behandelt, muss mit Schädigungen von Blutgefäßen und Nervenbahnen, der Nieren, Augen, Füße und am Herzen rechnen.

Mediziner haben für Typ-2-Diabetiker unangenehmerweise meist diesen guten Rat parat: abnehmen. Ein paar Kilos weniger, und schon tut sich das Insulin bei der Arbeit nicht mehr ganz so schwer. Fasten für Diabetiker ist also logisch - unter ärztlicher Aufsicht.

Beim ersten Fastenseminar in Pernegg, veranstaltet von der Info- und Selbsthilfe-Plattform Diabetes Austria im Mai dieses Jahres, war daher nicht nur Fastencoach Alexander Graffi, sondern auch die Wiener Ärztin Elisabeth Krippl anwesend, um Adaptierungen der Therapien für Zuckerkranke vorzunehmen. Der Grund: Wer als Diabetiker nichts isst, braucht auch deutlich weniger Medikamente. Eine nichtangepasste Therapie würde rasch zu einer gefährlichen Unterzuckerung führen.

Gepredigte Kopfsachen

Krippl und Graffi waren in der Klosteranlage die Entschlackungsprediger, die die Teilnehmer vom Übermaß zur Entsagung führen wollten. Und das nicht allein durch Nichtessen, Leberwickel, Glaubersalz oder ähnliche Praktiken, die den Körper von Giften befreiten. Fasten ist auch Kopfsache.

Also nahm man täglich um 7.30 Uhr am "Morgengang" teil. Der Fastentrainer schritt schweigsam vorneweg. Die Teilnehmer, die am Abend davor heilsverkündenden Worten vom "besseren Zuckerwert durch Abnehmen und Bewegung" lauschten, trabten brav hinterher. Der erste Weg führte zu einem Teich, in dem die Abwässer des Klosters versickern. Dort hieß es trotzdem tief durchatmen, die Arme abklopfen, die Hände zu einer Schale formen, mit der man all die Last der letzten Wochen und Monate auffing und dann mit einem kräftigen Ausatmen in das Gewässer warf.

Wer beim Fastenseminar mitmachen wollte, musste sich aber nicht nur morgens auf Spiritualität einlassen. Höhepunkt war ein Stilletag, an dem man innere Einkehr hielt - und nichts sprach. Und so meditative Dinge machte, wie durch den Wald gehen und sich einen vorher ausgewählten Spruch im Gedanken in Endlosschleife vorsagte. Beispiel: "Es ist ein Brand von solcher Art, dass ich brenne, aber nicht verbrenne." Ein Satz von Giordano Bruno, der in die Mauern des Klostergartens gemeißelt ist. Oder man schnitzte an einem Stück Holz herum. Jedenfalls sollte man sich dabei nie allzu sehr anstrengen. Dem Körper fehlte wegen der verweigerten Energiezufuhr die nötige Kraft.

Dieser Tag ist wie eine Tankstelle - wenn jeder das rituelle Schweigen akzeptiert. Auch die sonst sehr gesprächige Verkäuferin im Supermarkt in Pernegg. "Bitte redet ihn nicht an, der hat heute seinen Stilletag!" rief sie bestimmt durch das Geschäftslokal. Alles lachte. (Peter Illetschko/DER STANDARD/Printausgabe/26./27.7.2008)