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Der 14 Meter große Krater von Carancas. Die Gefahr von Einschlägen kleiner Himmelskörper dürfte größer sein als bisher angenommen.

Foto: AP/La Razon, Miguel Carrasco

Der 15. September 2007 begann in dem Anden-Dorf Carancas in Peru wie jeder andere Tag. Kurz vor Mittag jedoch raste eine Feuerkugel am Himmel entlang. Um 11.45 Uhr explodierte sie mit lautem Knall am Dorfrand. Der Meteorit verfehlte einige Bewohner nur um 300 Meter. Das Geschoss schlug einen 14 Meter breiten Krater in den Boden. Schlamm spritzte umher, fauliger Dampf stieg auf. Tags darauf erkrankten dutzende der Anwohner. Medien berichteten von der "Seuche aus dem All".

Sofort reisten Geologen aus aller Welt an den Ort, um das seltene Ereignis zu untersuchen. Meteoritenfragmente fanden sie kaum, die Dorfbewohner hatten das kostbare Gut bereits eingesammelt. "Für 100 Euro pro Gramm haben sie das graue Gestein verkauft", sagt Thomas Kenkmann, Geologe an der Humboldt-Universität Berlin.

Nun haben Experten die Relikte aus dem All untersucht. Ihre Analyse brachte zunächst eine bedenkliche Erkenntnis: Die Gefahr werde unterschätzt, dass kleine Himmelskörper einschlagen. Der Theorie zufolge sollten metergroße Steinmeteoriten in der Atmosphäre verglühen, bevor sie die Erde erreichen. Dass sie auf der Erde Krater schlagen, galt als unmöglich.

Gefahr ginge lediglich von Eisengeschossen aus, hieß es, denn Eisen ist stabiler. Alle 80 Jahre jedoch gelinge es Steinmeteoriten offenbar, auf der Erde Krater zu schlagen, haben Kenkmann und seine Kollegen berechnet.

Wie 20 Kilogramm TNT

Die Zerstörungskraft kleiner Asteroiden ist groß. Der Carancas-Meteorit habe die Wucht von 20 Kilogramm TNT-Sprengstoff gehabt, berichtet Kenkmann. In bewohntem Gelände hätte er eine Siedlung zerstören können. Eine Vorwarnung scheint kaum möglich. Der Peru-Meteorit wurde vom Radar des astronomischen Überwachungszentrums an der Universität Arizona nicht entdeckt.

Nun streiten Experten darüber, warum der Himmelskörper überhaupt den Boden erreichte, ohne zu verglühen. Das Geschoss reiste im Windschatten seines Feuerballs, sagt Peter Schultz von der Nasa. Die hohe Geschwindigkeit der Meteoritentrümmer habe eine Schockwelle erzeugt, die die Fragmente während des Fluges zusammengehalten habe.

Aufgrund der Stromlinienförmigkeit des Konglomerates seien die Gesteine nicht ganz verglüht. Zum Beweis präsentierte Schultz Mikroskopfotos der Fragmente. Sie sollten im Meteoritengestein sogenannte Schocklamellen zeigen - winzige Veränderungen der Struktur, die bei hohem Druck entstehen. Schocklamellen wären ein Beweis für die hohe Fluggeschwindigkeit des Meteoriten.

Seine Kollegen aus Deutschland bezweifeln die Theorie. "Wir konnten keine Schocklamellen erkennen", sagt Kenkmann. Die Fotos seien unscharf. Kenkmann vergleicht den Meteoriten von Carancas vielmehr mit Raumfähren. Ähnlich wie ein Space Shuttle sei das Gestein im flachen Winkel in die Atmosphäre eingedrungen, vermuten Kenkmann und seine Kollegen. Entsprechend gering sei die Reibung gewesen.

"Es war eine behutsame Bremsung", sagt Kenkmann. Das Geschoss sei mit 40.000 Kilometern pro Stunde in die Atmosphäre eingedrungen, allmählich gebremst worden und dann mit einer normalen Fallgeschwindigkeit von etwa 750 Kilometer pro Stunde aufgeschlagen, vermutet der Geologe.

Etwa jeder 20. Steinmeteorit fliege in flacher Bahn Richtung Erdboden und stelle damit ein Risiko dar. Um nicht zu verglühen, müsse der Meteorit zudem "relativ klein" gewesen sein. Beim Eintritt in die Atmosphäre sei das Geschoss etwa zwei Meter dick gewesen, beim Aufschlag noch einen Meter groß. Ein mächtigeres Objekt wäre in der Luft in tausende Teile zerstoben, doch mehrere Feuerbälle wurden nicht registriert.

Neue Sehenswürdigkeit

Einig sind sich die Forscher darin, dass viele Steinmeteoriten unbemerkt auf der Erde eingeschlagen haben müssen. "Wer weiß schon, wie viele Teiche eigentlich Einschlagskrater sind", sagt Schultz. Die Bewohner von Carancas sind stolz auf den Krater, ihre neue Sehenswürdigkeit. Auch die nach dem Einschlag Erkrankten haben sich mit dem Ereignis versöhnt, sie sind längst wieder gesund. Nicht Bakterien aus dem All hatten die Leute infiziert. Vielmehr hatte Schwefelstaub aus dem Kraterboden ihre Übelkeit ausgelöst. (Axel Bojanowski/DER STANDARD, Printausgabe, 30.7.2008)