STANDARD: Sie machen an derselben Stelle weiter, an der schon vor über 100 Jahren gegraben wurde. Was ist so interessant an Willendorf?
Viola: Als der moderne Mensch vom Nahen Osten kommend Europa besiedelt hat, ist er wahrscheinlich durch das Donautal gekommen. Willendorf war also mitten auf seiner Wanderroute. Der Fundort ist einzigartig in Europa, auch weil er so eine lange Zeitspanne abdeckt. Die ältesten Spuren von Hominiden, die wir dort finden, sind bis zu 60.000 Jahre alt, danach gibt es nahezu durchgehend Funde bis zu vor etwa 24.000 Jahren. Und wir können anhand dessen, was wir dort finden, nicht nur die menschliche Kultur rekonstruieren, sondern auch Klima, Vegetation und andere Umweltbedingungen.
STANDARD: Was weiß man darüber, was in Willendorf in der Eiszeit los war?
Viola: Willendorf war eine Freilandsiedlung mit sehr unterschiedlichen Aktivitäten. Das, was wir aus der Zeit vor rund 38.000 Jahren und älter finden, stammt vermutlich von durchziehenden Menschengruppen, die dort ein Werkzeug hergestellt, geschärft oder einfach verloren, sich aber nicht länger aufgehalten haben. Dafür sind die Funde zu spärlich. Bei der obersten Grabungsschicht dagegen, der, aus der die Venus stammt, also aus der Zeit vor rund 24.000 bis 27.000 Jahren, nehmen wir wegen der Dichte der Funde an, dass das tatsächlich ein immer wieder für längere Zeit genützter Lagerplatz war.
STANDARD: Was haben Sie bis jetzt gefunden?
Viola: Einer der wichtigsten neuen Funde stammt aus den Grabungen vom Sommer 2007. Da haben wir ein Steinwerkzeug ausgegraben, dessen Abschlagkanten genau auf ein Fundstück aus den alten Grabungen von 1908/09 passt. Das ist deshalb so interessant, weil es immer wieder Zweifel über die Datierungen der alten Funde gab. Unseren Fund haben wir mit modernsten Methoden datiert, er ist rund 44.000 Jahre alt - und damit können wir auch das Alter des Fundes aus der früheren Grabung genau bestimmen.
STANDARD: 1908/09 waren für die Grabungen in Willendorf mit Schaufeln ausgestattete Tagelöhner angeheuert - wie arbeiten Sie heute?
Viola: Heute steht uns natürlich weit höher entwickelte Technologie zur Verfügung, etwa um den genauen Fundort jedes entdeckten Stücks genau zu vermessen, oder für Altersbestimmungen. Das ist aber auch teuer, eine einzige C14-Datierung beispielsweise kostet ungefähr 600 Euro. Außerdem graben wir viel genauer, feiner. Die letzten beiden Grabungssaisonen, im Sommer 2006 und 2007, dauerten jeweils sechs Wochen, beschäftigt waren dabei immer zwischen zehn und 15 Personen. Der Großteil davon sind Studenten, die machen das unentgeltlich im Rahmen eines Praktikums. (Birgit Dalheimer/DER STANDARD, Printausgabe, 30.7.2008)