Das Ziel, leichtere Turbinen für Flugzeuge zu bauen, wollen steirische Forscher mit neuen Werkstoffen erreichen.

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Die Luftfahrt hat zwei große Schwachpunkte: Lärmbelästigung und Umweltverschmutzung. Rund 600 Millionen Tonnen Kohlendioxid tragen Flugzeuge jährlich in die obere Troposphäre, also direkt in die "Wetterküche" der Erde. Seit 1990 stiegen allein die dadurch verursachten Treibhausgasemissionen um 50 Prozent. Politiker fordern gern die Eindämmung des Flugverkehrs und den Verzicht auf Langstreckenflüge. In Forschung und Technologieentwicklung bemüht man sich um umweltfreundlichere Alternativen - zum Beispiel mit deutlich leichteren Triebwerken.

Die Umsetzung dieser Idee ist nicht so einfach, wie sie klingen mag: Die Triebwerke müssen nämlich ein völlig neues Design bekommen - was auch nur mit einem neuen Werkstoff gelingen kann, der deutlich leichter ist als die derzeit gebräuchliche Superlegierung auf Nickelbasis. Das Material sollte dennoch fest und temperaturbeständig sein.

In den letzten zwei Jahrzehnten wurde daher an der Entwicklung sogenannter intermetallischer Titanaluminid-Werkstoffe gearbeitet. Auch Wissenschafter der Montan-Universität Leoben beschäftigen sich mit diesem Material, das eine geringe Dichte, ein gutes Oxidationsverhalten und eine hohe spezifische Festigkeit bei Temperaturen von 600 bis 800 Grad hat.

"Triebwerke, in denen auch intermetallische Titanaluminide eingesetzt werden, könnten den Ausstoß an Treibhausgasen deutlich verringern", hofft Helmut Clemens vom Department für Metallkunde und Werkstoffprüfung der Montan-Uni. Weniger Lärm und Treibstoffverbrauch seien auch zu erwarten. Angesichts der unkontrolliert steigenden Treibstoffpreise ist das natürlich ein Argument, das in der Luftfahrtbranche auf größtes Interesse stößt, sagt Clemens. "Gemeinsam mit Industriepartnern arbeiten wir nun an der Weiterentwicklung dieses Werkstoffs, um für den internationalen Wettbewerb gerüstet zu sein", so der Materialwissenschafter.

Erfahrungen bei Autorennen

Praktische Erfahrung mit intermetallischen Titanaluminid-Legierungen hat man bereits im Autorennsport gesammelt, wo schon seit einigen Jahren Bauteile aus diesem Material verwendet werden. Industriell eingesetzt wurde es erstmals 1999 vom japanischen Fahrzeughersteller Mitsubishi, der eines seiner Autos mit Turboladerlaufrädern aus Titanaluminid ausstattete.

Nun sollen auch für die neuen Flugzeugtriebwerke eines amerikanischen Herstellers Titanaluminid-Bauteile verwendet werden. Da man die ersten Turbinen bereits 2009 im regulären Flugbetrieb einsetzen will, müssen die Triebwerkhersteller und deren Bauteillieferanten unter Termindruck ihre Forschungsarbeit intensivieren. Um das Potenzial dieses Werkstoffes voll auszuschöpfen, bedarf es neben der Definition einer geeigneten Legierungszusammensetzung entsprechender industrieller Herstellungstechnologien. "Hier gibt es noch großen Optimierungsbedarf", meint Clemens. "Wegen seines spröden Verhaltens bei ungeeigneten Verformungsbedingungen wird vor allem bei der Herstellung von Turbinenschaufeln durch Schmieden noch viel Ausschuss produziert."

Um eine Titanaluminid-Legierung zu entwickeln, die bei Temperaturen von über 1000 Grad Celsius durch ein konventionelles Schmiedeverfahren formbar wird, haben die Leobener Werkstoffwissenschafter gemeinsam mit einigen europäischen Partnern eine Reihe grundlegender Untersuchungen durchgeführt.

Löslichkeit untersucht

Das Ergebnis ist aus Sicht der steirischen Forscher zufriedenstellend: "Es ist uns gelungen, eine Legierung mit ausgewogenen mechanischen Eigenschaften zu entwickeln, die gleichzeitig sehr gut zu verarbeiten ist", freut sich Helmut Clemens. Basis dieser Grundlagenforschung ist der Einsatz moderner Untersuchungsmethoden: So wurden etwa thermodynamische Berechnungen durchgeführt, und mittels einer kürzlich in Betrieb genommenen Atomsonde wurde die Löslichkeit von Legierungselementen untersucht.

"Die Ergebnisse haben wir dann mit Daten aus elektronenmikroskopischen Untersuchungen kombiniert, wodurch wir ein detailliertes Werkstoffbild bekamen", versucht Helmut Clemens einen Eindruck von der methodischen Komplexität seiner Forschungsarbeiten zu vermitteln. "Parallel dazu haben wir mit Partnern 'atomistic modelling' betrieben, um Eigenschaftsveränderungen des Materials vorhersagen zu können."

Mit ihrem Zugang glauben die steirischen Wissenschafter von der Montan-Uni einen Entwicklungstrend ausgelöst zu haben: "Mittlerweile arbeiten bereits mehrere internationale Forschergruppen mit vergleichbaren Legierungskonzepten oder gehen dazu über", jubelt Clemens. (Doris Griesser/DER STANDARD, Printausgabe, 30.7.2008)