Für Indiens Regierungschef Manmohan Singh stand viel auf dem Spiel. Wie ein Löwe hatte er zu Hause für den zivilen Atompakt mit den USA gekämpft und sogar seinen Sturz riskiert. Am Freitag wird genehmigte die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) den Deal mit den USA. Wenn dann auch noch die Gruppe der Atomlieferländer zustimmt, wäre Singh am Ziel: Nach 34 Jahren Ächtung erhielte Indien den atomaren Ritterschlag. Dabei geht es nicht nur um mehr Energie für das Land. Der Pakt bedeutet vor allem einen enormen Statusgewinn auf der politischen Weltbühne.
Seit Indien 1974 seine erste Atombombe zündete, hatten die USA und andere Staaten die nukleare Zusammenarbeit mit Indien eingestellt. Nach weiteren Atomtests 1998 wurde der Boykott weltweit ausgeweitet - und Indien vom atomaren Weltmarkt abgeschnitten. Dennoch wollte sich Delhi nie der Rüstungskontrolle unterwerfen. Das Atomwaffenprogramm ist eine Art nationales Heiligtum. Es gilt als Schutzschild gegen die beiden Nachbarn China und Pakistan, die ebenfalls über Atombomben verfügen.
Kursschwenk
Der Atompakt mit den USA soll Indien nun den Weg in die Legalität ebnen. Faktisch steigt das Land in den illustren Kreis der anerkannten Atommächte auf - auf Augenhöhe mit den USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich. Obgleich Delhi den Sperrvertrag weiterhin nicht unterzeichnet, dürfte es für zivile Zwecke wieder Uran und Atomtechnologie im Ausland einkaufen.
"Wir haben heute Geschichte geschrieben, sagte Singh, als er und US-Präsident George W. Bush den Atompakt im März 2006 vereinbarten. Tatsächlich bedeutet der Deal auch einen außenpolitischen Kursschwenk. Singh rückt Indien, das lange dem alten Ostblock näher stand, damit enger an den Westen und die USA heran. Deshalb haben nicht nur Indiens US-phobische Kommunisten das Abkommen erbittert bekämpft. Auch China betrachtet es mit Misstrauen.
Allerdings wäre es naiv, zu glauben, Indien werde nun nach der Pfeife Washingtons tanzen. Dazu sind die Inder viel zu selbstbewusst. Wenn es um ihre Interessen geht, werden sie weiterhin den Konflikt auch mit den USA nicht scheuen, wie nun bei den WTO-Gesprächen.
Hunger nach Energie
Indien fordert eine Rolle als Weltmacht - und der Atompakt ist ein Schritt dahin. Und er soll den wirtschaftlichen Aufstieg forcieren. Das Riesenland mit seinen 1,1Milliarden Einwohnern hungert nach Energie. Obwohl 50 Prozent aller Familien auf dem Lande noch überhaupt nicht ans Stromnetz angeschlossen sind, reichen die Kapazitäten vorn und hinten nicht. Stundenlange Stromausfälle sind selbst in der Hauptstadt Neu-Delhi Alltag. Einige Bundesstaaten müssen den Strom bereits zeitweise rationieren. So liegen Indiens Energiekapazitäten heute um zwei Drittel unter denen des großen Rivalen China.
Indien will daher seine Kapazitäten bis zum Jahre 2012 um 78.577 Megawatt oder 80 Prozent steigern. Über 78 Prozent der Energie stammen bisher von Kohle- oder Wasserkraftwerken. Weil es dem Subkontinent an Uran mangelt, spielt Atomkraft nur eine kleine Rolle. Die 17 Atommeiler steuern nur knapp drei Prozent oder 4000 Megawatt bei.
Das Land will nun weitere acht Kernkraftwerke bauen, die zusammen 5600 Megawatt liefern sollen. Für diese braucht das Gandhi-Land Technologie und vor allem Uran aus dem Ausland. Das verspricht auch den nuklearen Lieferstaaten Milliardengeschäfte. Neben den Vereinigten Staaten klopfen bereits Russland, Frankreich und Australien lautstark an die indische Tür. (Christine Möllhoff aus Neu-Delhi/DER STANDARD, Printausgabe, 1.8.2008)