Yucca Mountain, 160 Kilometer nordwestlich von Las Vegas: Ein Bergwerkstollen mit betonierter Einfassung, auf einem Schild wird der Besucher angewiesen, Sicherheitshelme zu tragen. Am zentralen Eingang des Yucca Mountain schlägt einem kühle Luft entgegen. Ein dunkler Schacht führt acht Kilometer tief in den Berg. Vor Radioaktivität in der Luft wird gewarnt, nacktes Tuffgestein reflektiert das Neonlicht von den Wänden, an denen Kabel, Kompressoren und Generatoren hängen. Geschäftig geht es hier zu, aber nicht hektisch. Von einer Diesellok angetrieben, rattert ein Zug mit Arbeitern und Wissenschaftern über die Schmalspurschienen ins Berginnere.


Hier, im Bundesstaat Nevada, soll das weltweit erste Endlager für hochradioaktiven Müll entstehen. Dafür hat das Energieministerium einen Probestollen in den heiligen Berg der Western-Shoshone-Indianer treiben lassen. Seit 30 Jahren prüfen Geologen den Yucca Mountain auf seine Tauglichkeit. Über sieben Milliarden Dollar hat das Projekt bislang verschlungen. Knapp 600 Meter unter dem Gipfel sollen ab 2010 - so hat es Präsident Bush entschieden - abgebrannte Brennstäbe aus Atomkraftwerken und anderer nuklearer Abfall eingelagert werden: bis zu 77.000 Tonnen, in Spezialcontainern verpackt, geschützt vor Umwelteinflüssen und Nuklearterroristen.

US-Energieminister Samuel Bodman hat den zerklüfteten Bergkamm aus Vulkangestein als Endlager empfohlen. Die Bush-Regierung hält die Sicherheitsrisiken für gering und verteidigt das Projekt mit seinem Standortvorteil: Der Yucca Mountain liegt in der Wüste - abgeschirmt hinter Stacheldraht und elektronischen Sicherheitszäunen. Präsident Bush ist entschlossen, das Endlager per Gesetz durchzusetzen. Derzeit gibt es 103 Atomkraftwerke an 75 Standorten. 50 neue Reaktoren sollen bis zum Jahre 2020 zusätzlich gebaut werden. Die Bush-Regierung setzt auf Atomenergie und muss gleichzeitig die Altlasten unterbringen.


Am Horizont erkennt man die Umrisse eines Vulkans. Es ist still hier. Eine trügerische Idylle, denn der Yucca Mountain liegt im Nevada Test Site, dem Atomtestgelände der USA. Zur Zeit des Kalten Krieges wurden in dieser Einöde die ersten Atombomben der Vereinigten Staaten erprobt. Nichts deutet auf die Besonderheit des Berges hin. Nirgendwo gibt es ein Schild, eine Markierung, weder am Highway noch auf den Straßenkarten. Dafür werden die Zufahrten zum Yucca Mountain streng bewacht. Gatter und Panzersperren blockieren die Einfahrt. Soldaten in grünlichen Tarnanzügen inspizieren jeden Wagen. Hinein darf nur, wer eine Sondergenehmigung des Ministeriums vorweisen kann.


Im Augenblick sind etwa 1500 Menschen mit den Vorarbeiten für das Lager betraut: Ingenieure und Wissenschafter, Minenarbeiter und PR-Agenturen, die Werbung für das Endlager machen sollen. Denn das Yucca-Mountain-Projekt ist umstritten. "Ich werde alles in meiner Macht Stehende unternehmen, um das Projekt zu stoppen", sagt der populäre Bürgermeister von Las Vegas, Oscar Goodman. Niemand will das Atomklo haben. Und der Demokrat, Bürgerrechtler und ehemalige Strafrechtsverteidiger steht da nicht allein. In ganz Nevada regt sich Protest. Eine große Koalition aus Bürgerinitiativen, Politikern, Wirtschaftsverbänden, Umweltgruppen und Indianern hat sich zusammengefunden.


Es gibt noch weitere Gefahren


Hinzu kommt, dass der Yucca Mountain in einem erdbeben- und vulkangefährdeten Gebiet liegt: "Diejenigen, die aus dem Yucca Mountain ein atomares Endlager machen wollen, haben nicht die Sicherheitsstandards eingehalten, die im Kongress beschlossen wurden", sagt der 69-jährige Goodman und kommt erst so richtig in Fahrt: "Wenn der Atommüll eine sichere Angelegenheit ist, dann kann er ja dort bleiben, wo er ist." Es gibt noch weitere Gefahren. "Für die Entsorgung wurden überhaupt keine alternativen Lagerungsorte und -methoden in Betracht gezogen", kritisiert Judy Treichel. 1987 gründete sie die Nevada Nuclear Waste Task Force. Die Bürgerinitiative engagiert sich, um über die Gefahren eines Atommülllagers im Yucca Mountain aufzuklären. Zu den Projektgegnern gehört auch Steve Frishman. Als unabhängiger Sachverständiger hat er viele Jahre den Gouverneur von Nevada beraten. Der Geologe kennt den Berg bestens, hat ihn selbst miterforscht. Sein Befund: Der Yucca Mountain ist eine Zeitbombe. Der Berg gehört zu einer aktiven Vulkanzone. Im Umkreis von 80 Kilometern wurden in den vergangenen 20 Jahren über 600 Beben mit einer Stärke von mehr als 2,5 auf der Richterskala registriert. Das Energieministerium habe diese Fakten aber nicht zum Anlass genommen, den Standort aufzugeben, so Frishman, sondern die Sicherheitskriterien für den Yucca Mountain gelockert. Obergrenzen für frei werdende Strahlung gelten nicht innerhalb, wie vorgesehen, sondern erst außerhalb einer 20-Kilometer-Zone.

Zudem befinden sich fast alle US-Reaktoren an der Ostküste - mit der Konsequenz, dass die Transportwege äußerst lang wären. Noch ist geplant, den Atommüll aus den 39 Bundesstaaten per Truck oder Zug zu transportieren. Damit steigt nach Meinung der Gegner das Risiko von Pannen oder Terroranschlägen. Die Regierung hält Risiken für gering und verteidigt die Transporte.  Was aber, wenn trotzdem etwas passiert? "Die Leute werden die Transporte nicht tolerieren", ist sich Goodman sicher: "Wie schnell können Spezialeinheiten die entlegenen Winkel des Landes erreichen?" Fragen, die von den Behörden bislang nicht beantwortet worden sind.

Mittlerweile sind die Endlagerpläne der Regierung Bush ins Wanken geraten. Vor einem Bundesgericht in Washington hat der Staat Nevada einen Teilsieg errungen. Laut Richterspruch habe die Re-gierung die Sicherheitsempfehlungen der National Academy of Sciences nicht berücksichtigt. Die Sicherheitsgarantie für eine Lagerung hochradioaktiver Materialien von 10.000 Jahren sei viel zu kurz. In Europa haben sich Regierungen für einen Sicherheitszeitraum von einer Million Jahre entschieden.


Seit Jahrzehnten demonstrieren die Western-Shoshone-Indianer gegen das geplante Endlager. Die Frage des rechtmäßigen Eigentums am Yucca Mountain ist mehrfach von den Gerichten behandelt worden - stets zuungunsten der Indianer. 1962 wurde von der damaligen US-Regierung einseitig beschlossen, den Berg in Besitz zu nehmen und eine fiktive Entschädigungssumme zu zahlen. Aber es steht mehr als nur Geld auf dem Spiel. Es geht um Landraub, denn große Teile des nuklearen Zyklus, von der Urangewinnung über die Atombombenexperimente bis hin zur Endlagerung, finden auf indianischem Gebiet statt. "Zeigt mir die Dokumente, die belegen, dass wir unser Land weggegeben haben!", fordert Corbin Harney, der spirituelle Führer der Western Shoshone. Das Land ist in unserem Besitz geblieben, sagt Harney. Tatsächlich haben es die Shoshonen nie verkauft.


Heute leben die letzten etwa 6000 Mitglieder des Stammes in kleinen Reservaten, verteilt auf sechs Bundesstaaten. Die meisten sind wie Corbin Harney arm. Über eine Schulausbildung verfügen die wenigsten, viele hausen in alten Wohnwagen, manche verkaufen Benzin und Süßigkeiten, eine Krankenversicherung kann sich kaum jemand leisten.


Wie es jetzt nach der Gerichtsentscheidung mit dem Yucca Mountain weitergeht, ist unklar. Kürzlich verlangte das Repräsentantenhaus, wieder nach alternativen Standorten zu suchen. Der Hintergrund: In den Medien wurden E-Mails mit brisantem Inhalt veröffentlicht. Am Yucca-Mountain-Projekt beteiligte Wissenschafter des Energieministeriums hatten darin diskutiert, wie man Daten am besten fälschen könne, um die geologische Sicherheit des Atomlagers zu untermauern. (Michael Marek, DER STANDARD/Album - Printausgabe, 2. August 2008)