Ein Leserbrief zu meinen Anmerkungen zum Programm des neuantretenden Liberalen Forums: "Ich kann mich mit einem Großteil Ihrer Kommentare und Glossen identifizieren. Allerdings habe ich auch den Eindruck, dass, wenn es um das ,eigene Gerstl‘ geht, Sie sich in einen ,neoliberalen Tiger‘ verwandeln und alle Gesetze bzw. Gesetzesvorschläge, in denen es um eine gerechtere Welt, nämlich im Sinne einer Verteilungsgerechtigkeit, geht, im Bausch und Bogen verdammen - ich denke da an Ihre Bemerkungen zur Vermögenszuwachssteuer! Ich meine, dass dieser von Ihnen vertretene Liberalismus genauso eine fragmentierte Gesellschaft und damit entsprechende ,cleavages‘ hervorruft. - Mag. Willi H."

Sehr geehrter Herr Mag. H., danke für Ihre Anmerkungen. "Verteilungsgerechtigkeit" ist ein Thema, aber anders als viele glauben. Es gibt die Fragmentierung der Gesellschaft, von der Sie sprechen, aber nicht (nur) zwischen Reich und Arm, sondern zwischen einem privilegierten, geschützten, in der Regel staatlichen und staatsnahen Sektor - und den anderen, die einen Großteil dieses Sektors alimentieren.

Diese Leute brauchen eine (publizistische) Vertretung. Darunter sind auch viele Leistungsträger, denen unter der Devise einer fragwürdigen "Verteilungsgerechtigkeit" etwas weggenommen werden soll.
Verteilungsgerechtigkeit an sich ist in Ordnung. Die soziale Absicherung der berühmten alleinerziehenden Supermarkt-Kassiererin muss sein. Aber in der realen "Verteilungssituation" gibt es eine große Gruppe, die durch jahrzehntelangen Klientelismus der Parteien privilegiert wurde.

Etwa jene Bediensteten der Gemeinde Wien, die jahrzehntelang mit Anfang 50 (Durchschnitt!) in Frühpension gingen. Oder die nach der schwarz-blauen Pensionsreform sprunghaft angestiegenen "Invaliditäts" -Pensionistinnen und -Pensionisten. Standard-Kolumnist Bernd Marin hat alle Daten dazu.

Kurzum, es gibt eine gewaltige Verteilungsungerechtigkeit zwischen dem geschützten Sektor und dem ungeschützten. Unter den Nichtgeschützten gibt es dann noch einmal hunderttausende "neue" (Zwangs-)Selbstständige, und zwar an beiden Enden des Altersspektrums. Ältere, die zu teuer für ihre Arbeitgeber wurden, und Junge, die gar keine Anstellung kriegen.

25 Prozent der "Nettozahler" finanzieren die anderen 75 Prozent durch Transferleistungen im Sozialsystem. Viele legen auch für sich und ihre Familie eine Vorsorge an. Und die werden von Leuten wie dem Finanzstaatssekretär Matznetter als "G'stopfte" bezeichnet, die mit Vermögenszuwachssteuer zu belegen sind.
Man könnte sogar über diese Zuwachssteuer reden, wenn im Gegenzug die Spitzensteuersätze gesenkt würden. Das ist in den USA und etlichen europäischen Ländern der Fall. Bei uns kann man aber darauf wetten, dass hohe Einkommensteuersätze plus "capital gains tax" gelten werden. Unter diesen spezifisch österreichischen Voraussetzungen ist über eine wahre Verteilungsgerechtigkeit zu diskutieren, nämlich die zwischen dem geschützten und dem ungeschützten Sektor. (Hans Rauscher/DER STANDARD, Printausgabe, 2.8.2008)