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Radovan Karadžic vor dem UN-Tribunal (re.) und 1995 in Bosnien.

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US-Gesandter Richard Holbrooke (li.) 1997 beim jugoslawischen Präsidenten Slobodan Miloševic in Belgrad.

Mit seinem ersten Auftritt vor dem Haager Tribunal hat Radovan Karadžic einen Beweis seiner gefürchteten Intelligenz geliefert. Das Verfahren gegen den einstigen bosnischen Serbenführer wird kein Spaziergang.

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DenHaag/Washington/Wien - Ruhig, gefasst, höflich: Ganz anders als der serbische Ex-Präsident Slobodan Miloševic verhielt sich der frühere bosnische Serbenführer Radovan Karadžic am Donnerstag in seiner ersten Anhörung vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Statt wie Miloševic (er starb im März 2006 in der Haft) lautstark zu protestieren und die Rechtmäßigkeit des Tribunals infrage zu stellen, will sich Karadžic erst nach Vorliegen der Anklageschrift inhaltlich äußern.

Ob er sich nun, wie gewünscht, selbst verteidigen darf oder sich Anwälte nehmen muss oder beigestellt bekommt - die Verteidigungslinie des 63-Jährigen zeichnet sich bereits ab. Karadžic will offenbar die internationale Gemeinschaft, vor allem aber die USA, mitverantwortlich für die ihm angelasteten Kriegsverbrechen machen. Kernpunkt der Anklage ist das als Völkermord eingestufte Massaker an 8000 Muslimen in Srebrenica.

In der Anhörung am Donnerstag sagte Karadžic, der damalige US-Balkanunterhändler Richard Holbrooke habe ihm im Vorfeld der Friedensverhandlungen von Dayton versprochen, dass die Anklage gegen ihn fallengelassen werde, wenn er sich aus der Politik zurückziehe. Am Freitag wiederholte Karadžic diese Behauptung in einer schriftlichen Erklärung, die am Sitz des UN-Tribunals verbreitet wurde: Namens der USA habe Holbrooke ihm zugesichert, dass "ich nicht vor dieses Gericht gestellt werden sollte".  Holbrooke habe die Strafverschonung 1996 vor "Ministern und Staatsmännern" erklärt, die ihn vertreten hätten.

Karadžic wollte diese Erklärung offenbar bereits am Donnerstag vor Gericht verlesen. Der vorsitzende Richter Alphons Orie ließ dies jedoch nicht zu. Holbrooke bestritt noch am Donnerstag Karadžics Version. "Das war eine völlig falsche Behauptung" , sagte er auf CNN. Er habe mit Karadžic "ein sehr schwieriges Abkommen ausgehandelt: Er musste sich umgehend von seinen zwei Posten als Präsident des serbischen Teils Bosniens und als Chef seiner Partei zurückziehen. Das hat ergetan."

Kritik an Nato-Kommandant

Für Holbrooke war es ein "schwerer Fehler" , dass Karadžic nicht während der Stationierung der Nato-Truppen in Bosnien festgenommen worden sei. "Er hätte verhaftet werden müssen. Sein grüner Mercedes war sechs Monate lang jeden Tag vor seinem Büro geparkt. Der damalige Nato-Kommandant weigerte sich, ihn zu verhaften, obwohl er die Autorität hatte. Das war ein schwerer Fehler."

Das Abkommen zwischen Holbrooke und Karadžic beinhaltete dem Vernehmen nach 600.000 Dollar, die dem Serbenführer für seinen Lebensunterhalt ausgezahlt wurden, eine Residenz und mindestens sechs Leibwächter. Karadžic trat am 19. Juli 1996 als Präsident der Republika Srpska und als Chef seiner Serbischen Demokratischen Partei zurück. Zu diesem Zeitpunkt war der US-General Leighton Smith Kommandant der Nato-geführten Bosnien-Friedenstruppe Ifor, die die Umsetzung des Dayton-Friedensabkommens von 1995 überwachte.

Holbrooke bezeichnete in dem Interview Karadžic als "intellektuellen Architekten" des Völkerhasses im ehemaligen Jugoslawien: "Von allen teuflischen Männern des Balkans ist er der schlimmste." Dass der Westen, vor allem die USA, kein Interesse an der Festnahme von Karadžic und dem (weiter flüchtigen) Ex-General Ratko Mladic hatten, behauptet auch Florence Hartmann, die einstige Sprecherin der früheren Haager Chefanklägerin Carla Del Ponte, in ihrem 2007 erschienenen Buch "Frieden und Strafe" . Vermuteter Grund: Die beiden wissen Bescheid über westliche Mitverantwortung für Kriegsverbrechen, etwa durch Nichteingreifen. Trifft dies zu, dann birgt der Karadžic-Prozess einigen politischen Sprengstoff. (Josef Kirchengast/DER STANDARD, Printausgabe, 2./3.8.2008)