Wolfgang Schüssel, ÖVP-Klubobmann und Ex-Kanzler, über den "Faymann-Strache-Haider-Kurs", den "Meuchelmord" an Alfred Gusenbauer und Untergriffe der "Krone". Von Gerald John und Nina Weißensteiner.
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STANDARD: Haben Sie schon einmal über die EU geflucht?
Schüssel: Nein. Ich fluche nie.
STANDARD: Nicht einmal während der Sanktionen?
Schüssel: Das war ja kein Beschluss der EU, sondern das waren bilaterale Maßnahmen von 14 Staaten, die völlig konträr zum europäischen Geist standen. Aber deswegen hatten Sie ja ihr schlechtes Gewissen.
STANDARD: Halten Sie SPÖ-Chef Werner Faymann nach seinem EU-Schwenk - Volksabstimmung bei künftigen EU-Verträgen - noch für eine große Koalition qualifiziert?
Schüssel: Aus dieser neuen EU-Position der SPÖ kann kein gemeinsames Programm entstehen. Ich will nicht, dass Österreich durch den Faymann-Strache-Haider-Kurs in eine Richtung rutscht wie die britischen Tories. Wenn Faymann eine Wahl gewinnt, wird er alle Hände voll zu tun haben, um in der EU nicht isoliert dazustehen. Er muss sich überlegen, ob er Spielgestalter sein will oder Out-Wachler an der Linie. Der Einzige, mit dem sein Kurs kompatibel ist, ist Strache. Wo steht geschrieben, dass Rot-Blau nicht kommen wird?
STANDARD: Faymann hat eine Koalition mit Strache ausgeschlossen.
Schüssel: Da glaube ich Faymann kein Wort. Kommt eine neue Erleuchtung aus der Muthgasse (Sitz der Kronen Zeitung, Anm.), schauen die Dinge wieder anders aus.
STANDARD: Wie würde die EU auf Rot-Blau wohl reagieren?
Schüssel: Hoffentlich gar nicht. Weil es Brüssel nichts angeht, wie eine Wahl in Österreich ausgeht.
STANDARD: Viele beklagen die Macht der Konzerne in der EU. Faymann will deshalb mehr "soziale Standards".
Schüssel: Europa ist der sozialste Kontinent, jährlich geben die EU-Staaten 3000 Milliarden für soziale Zwecke aus. Und die Union verfügt über Instrumente, um Konzerne in die Schranken zu weisen - Microsoft bekam 1,5 Milliarden an Strafe aufgebrummt. Mit Recht wehren sich viele Staaten dagegen, dass die EU im Sozialbereich noch mehr Rechte bekommt. Gerade wir Österreicher sind darauf bedacht, unser hohes Niveau an Sozialleistungen nicht in fremde Hände zu geben. Ich will kein Sozialdumping und habe den Eindruck, dass der SPÖ-Chef da nicht sattelfest ist.
STANDARD: Mindeststandards könnten Sozialabbau gerade verhindern.
Schüssel: Aber auf welchem Niveau? Rumänien etwa hat ein Zehntel unseres Lohnniveaus und kann schwer österreichische Sozialstandards einführen. Wir wiederum werden uns mit Fug und Recht dagegen verwahren, dass rumänische Standards für uns gelten.
STANDARD: Die "Krone" kampagnisiert gegen die ÖVP wegen ihres Pro-EU-Kurses. Wie wollen Sie sich wehren?
Schüssel: Durch aufrechten Gang und Ernsthaftigkeit. Vielleicht bin ich naiv, aber diese Propaganda wird in sich zusammenfallen wie Salzburger Nockerln. Man kann die Leute auf Dauer nicht täuschen. Im Lissabonner Vertrag steht nichts, was die Neutralität oder unser Wasser gefährden könnte. Da hilft kein Bauchfleck vor Herausgebern.
STANDARD: Die "Krone" hat auch Sie schon persönlich attackiert: Da war etwa von schmalen Lippen zu lesen ...
Schüssel: Das stimmt ja auch - aber ich habe trotzdem nie die Ambition gehabt, mir meine Lippen aufspritzen zu lassen. Das sagt erstens nichts über Schönheit aus und zweitens nichts über Charakter.
STANDARD: Sie tragen nun gerne Leiberl oder offenes Hemd. Steckt dahinter eine politische Symbolik?
Schüssel: Nein, jede Funktion verlangt eine bestimmte Kleiderordnung. Aber ich hab da hinten eine Krawatte liegen, wenn Ihnen an mir was abgeht ...
STANDARD: Nein, aber uns fällt ein Widerspruch auf. Politisch wirken Sie nämlich immer konservativer.
Schüssel: Konservativ sein ist ja kein Schimpfwort, sondern heißt, bestimmte Werte zu bewahren: Natur, Bürgerrechte, eine Staatsphilosophie, die europäische Idee. Aber an sich bin ich ein neugieriger Mensch, den nichts mehr quält, als wenn seit 20 Jahren die immergleichen Ideen, von der Gesamtschule bis zur Vermögenssteuer, kommen. Der Retroblick von FPÖ bis SPÖ bringt nichts - wir kämpfen da gegen sechs linke Parteien.
STANDARD: Bei der Homo-Ehe waren Sie der Bewahrer, der Nein zum Bund am Standesamt gesagt hat.
Schüssel: Das ist doch keine entscheidende Frage.
STANDARD: Für manche schon.
Schüssel: Entscheidend ist, Diskriminierungen zu beseitigen. Ich war hinsichtlich der eingetragenen Partnerschaft skeptisch, habe mich aber überzeugen lassen. Allerdings: Die Unterscheidbarkeit zur Ehe ist wichtig.
STANDARD: Selbst Ihr Parteifreund Franz Fischler, Ex-EU-Kommissar, meint, Sie würden ÖVP-Chef Wilhelm Molterer einengen.
Schüssel: Das ist eine Legende. Es gibt keinen Schüssel-Kurs, wohl aber eine gemeinsame ÖVP-Linie - im Team entwickelt, als Gemeinschaft getragen. Ich unterstütze Molterer, etwa bei seinen Ideen gegen die Teuerung. Nicht den Eindruck erwecken, wir könnten uns von der Teuerung abkoppeln, sondern Fokussierung auf Gruppen, die es brauchen: Familien, Pensionisten, Niedrigeinkommen, verbilligtes Jahresticket für die Öffis, mit 1000 Euro unterstützt.
STANDARD: Die ÖVP will nun das Pflegegeld erhöhen, davor hat sie die SPÖ anrennen lassen. Mutwillige Blockade der Regierungsarbeit?
Schüssel: Erhöhung ab 2009 steht im Regierungsprogramm, da wurde nichts blockiert. Das Problem war, dass nie etwas gemeinsam verkauft wurde. Jeder hat sich, wie King Kong, selbst auf die Brust getrommelt. Wenn Faymann "Genug gestritten" plakatiert: Das hätten sich manche früher überlegen sollen. Vor dem Meuchelmord an Alfred Gusenbauer.
STANDARD: Molterer selbst hat den "roten Kanzler" als "Fehler" bezeichnet, der zu korrigieren sei.
Schüssel: Sie legen eine Bedeutung in den Satz, die dieser nie hatte. Gemeint war eine demokratische Korrektur bei der nächsten Wahl, das war als Motivationsschub gedacht.
Wir waren es, die einen Fehler gemacht haben: Bei der Wahl 2006 haben wir zu wenig gekämpft.
STANDARD: Wäre eine Koalition mit den Grünen eine bessere Variante?
Schüssel: Ich will nicht den Wahlkampf damit verplempern, alle Koalitionsvarianten durchzugehen. Mein Prinzip ist: niemanden ausgrenzen, niemandem unterstellen, dass er halbfaschistoid oder nicht qualifiziert für die Regierung sei.
STANDARD: Würden Sie Karl-Heinz Grasser, der in die Turbulenzen um die Meinl-Bank verstrickt ist, noch einmal ein Budget anvertrauen?
Schüssel: Über meine sieben Jahre Erfahrung mit ihm kann ich nur das Beste sagen - auch über die Ergebnisse. Aber ich wäre an seiner Stelle nie zu Meinl gegangen. Die Folgen spürt er.
STANDARD: Grasser soll für fünf Monate Arbeit eine Million Euro bekommen. Wird die Welt ungerechter?
Schüssel: Vieles war und ist ungleich verteilt: Begabungen, Schönheit, Intelligenz, Einkommen, Gesundheit, Karrierechancen. Gute Politik muss daher zwei Dinge tun: die Starken fördern, aber auch umverteilen, damit die Schwächeren nicht zu kurz kommen.
STANDARD: Warum fördert die ÖVP die Ungleichheit mit dem Aus für die Erbschaftssteuer, die Reichere traf?
Schüssel: Unsinn. Wir haben pro Jahr 80.000 Erbfälle, es gibt es zwei Millionen Eigentumswohnungen. Das betrifft den Mittelstand.
STANDARD: Auf die unteren zwei Drittel der Steuerzahler entfiel gerade ein Zehntel der Erbschaftssteuer.
Schüssel: Sie tun gerade ja so, als ob Österreich ein Niedrigsteuerland wäre. Doch beim Erbe handelt es sich um mehrfach versteuertes Eigentum: Auch Sie zahlen Sozialversicherung, Einkommensteuer, Mehrwertsteuer. Und so weiter.
STANDARD: Das spricht dafür, Arbeit zu entlasten, dafür aber höhere Steuern auf Vermögen einzuheben.
Schüssel: Ich kann mir vorstellen, die Spekulationsfristen für Aktien, innerhalb deren Steuer zu zahlen sind, von einem auf zwei, drei Jahre auszuweiten - aber vergessen Sie die Vermögenszuwachssteuer, Erhöhung der Grundsteuern oder Höchstbeitragsgrundlagen. Das sind linke Ideen, mit denen in einem Hochsteuerland der Mittelstand ausgequetscht würde.
STANDARD: Der Unternehmer Claus Raidl ist Ihr Berater - und für die Steuer.
Schüssel: Da gebe ich keinen Millimeter nach. Raidl sieht das von seiner Warte aus, wie Hans Peter Haselsteiner. Der ist für 80 Prozent Spitzensteuersatz, hat sein Vermögen aber in Stiftungen geparkt. Diese Leute sollen ihr schlechtes Gewissen mit karitativen Ausgaben lindern - was Raidl und Haselsteiner auch tun. Aber sie sollen uns mit Ideen verschonen, die für den Wirtschaftsstandort und unsere Arbeitsplätze schädlich sind. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.8.2008)