Bild nicht mehr verfügbar.

Ein Denkmal in San José bildet seit 2005 den Protest der Sprinter Tommie Smith (li.) und John Carlos in Mexiko 1968 ab.

AP Photo/George Nikitin

Bild nicht mehr verfügbar.

Das Orginal.

AP Photo/FILE

Die olympische Schrecksekunde hatte fünf Tage gedauert. So lange brauchte Jacques Rogge, zehnter Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), um offiziell auf die im März ausgebrochenen Unruhen in Tibet, auf deren Niederschlagung durch die chinesischen Behörden und auf die weltweit anhebenden Proteste zu reagieren - mit "großer Besorgnis" zu reagieren.

Auf Proteste aus der sogenannten olympischen Familie wurde zunächst nicht mit Sorge, sondern vonseiten einiger IOC-Funktionäre mit Drohungen reagiert. Sportler, die sich während der Spiele zu Tibet im Besonderen und der Lage der Menschenrechte in China im Allgemeinen äußern wollten, müssten sich auf Sanktionen bis hin zur Disqualifikation und Entzug der Akkreditierung gefasst machen.

Knapp vier Monate später wird eine ähnliche Botschaft anders verpackt. Als Hülle dient die Regel 51.3 der olympischen Charta (siehe "Im Wortlaut" Seite 3), die allen nationalen Olympischen Komitees zur freundlichen Kenntnisnahme ans Herz gelegt wurde.

Freie Rede ja, aber ...

Da wird den Athleten zwar gleich in Punkt eins freie Meinungsäußerung zugebilligt - immerhin ein Menschenrecht -, zum Wann, Wo und Wie hat das IOC aber schon viel anzumerken. Schließlich seien die Spiele Sport, aber "keine Bühne für verschiedene politische Statements über bewaffnete Konflikte, regionale Differenzen, religiöse Streitigkeiten oder Ähnliches". Das schlägt sich mit der Zusicherung an die Sportler, "in persönlichen Statements, Interviews oder Diskussionen" (IOC-Vize Thomas Bach) ihre Meinung äußern zu dürfen.

Der oberste Olympier, der Belgier Rogge, entschlägt sich seines Rechts. "Ohne Frage weiß ich den Wert der Menschenrechte zu schätzen. Aber die Diplomatie verbietet mir, mich zu diesem Thema im Detail zu äußern", sagte der 66-jährige Präsident erst am vergangenen Samstag. Von der Pflicht zur Meinungsäußerung, wie sie der tschechische Ex-Präsident Vaclav Havel und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu in einem offenen Brief einforderten, ganz zu schweigen. Rogge sieht seine Aufgabe darin, "Olympia zu einem Erfolg zu machen und die Meinungsfreiheit der Athleten zu gewährleisten". Die Sportler seien auch zu schützen.

Auch vor sich selbst und dem IOC zu schützen, wie die Erfahrungen lehren. So ist den US-Amerikanern Tommie Smith und John Carlos 1968 in Mexiko die freie Meinungsäußerung anlässlich der Siegerehrung für den 200-Meter-Lauf nicht bekommen. Dafür, dass sie ihre schwarzbehandschuhten Fäuste in die Höhe reckten, um nach Manier der Black-Power-Bewegung gegen die Diskriminierung der afroamerikanischen Bevölkerungsgruppe zu demonstrieren, wurden sie des olympischen Dorfes verwiesen.

Seinen Glauben an Menschenrechte hätte er mit seiner Geste ausdrücken wollen, sagte Smith 2007 in einem Interview mit der Weltwoche. Ihm sei es nicht primär um schwarze Rechte gegangen. Die aktuelle Sportlergeneration beneidet der heute 64-jährige Texaner nicht. Sie liege in schweren Ketten. "Mit sehr viel Geld hat man ihr Schweigen gekauft. Um das Geld beneide ich sie nicht, denn ich konnte reden."

Österreichs Segler Roman Hagara, der mit Partner Hans-Peter Steinacher die dritte olympische Goldmedaille en suite anstrebt, würde dem nicht widersprechen. Für den Wiener ist der Athlet das schwächste Glied der Kette. "Alles ist kommerzieller geworden. Und China ist ein großer Markt. Wir profitieren auch davon, verdienen Geld. Aber wir können die Welt nicht verbessern." (Sigi Lützow, DER STANDARD Printausgabe 02.08.2008)