Russland forderte "maximale Zurückhaltung".
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Die Zuspitzung des georgisch-ossetischen Konfliktes lässt Sorgen vor dem Ausbruch eines Krieges laut werden. „Die Bedrohung von großangelegten Kriegsoperationen zwischen Georgien und Südossetien werden immer realer", teilte das russische Außenministerium am Sonntag mit. An der Grenze der nicht anerkannten Republik Südossetien und Georgiens war es am Wochenende zu den schwersten Gefechten seit vier Jahren gekommen. Laut russischen Nachrichtenagenturen sind bei den Auseinandersetzungen sechs Menschen ums Leben gekommen, rund 17 weitere wurden teils schwer verletzt.
Es ist unklar, was genau der Auslöser der Kampfhandlungen war. Georgien und die separatistische Regierung Südossetiens beschuldigten sich gegenseitig, für den Ausbruch der Gewalt verantwortlich zu sein. Dem südossetischen Präsident Eduard Kokojty zufolge hatten am Freitagabend in der südossetischen Hauptstadt Zchinwali georgische Scharfschützen in Polizeiuniform auf die Zivilbevölkerung geschossen. Später seien großkalibrige Waffen und Granatwerfer zum Einsatz gekommen.
Gefechte als Reaktion auf Aggression
Georgische Behörden erklärten hingegen, dass die Gefechte als Antwort auf die südossetische Aggression begonnen hatten. Demnach hatten südossetische Separatisten einen georgischen Polizeiwagen gesprengt und dabei fünf Polizisten schwer verwundet. Als georgische Dörfer in der Nähe von Zchinwali beschossen wurden, wurde das Feuer erwidert. Laut Kokojty waren das die schärfsten Auseinandersetzungen seit 2004.
Der erbitterte Konflikt zwischen Georgien und Russland um den Einfluss in den separatistischen Republiken Südossetien und Abchasien schwelt seit mehr als einem Jahrzehnt. Russland unterstützt die Unabhängigkeitsbestrebungen der ehemaligen Sowjetrepubliken, während Georgien lange versuchte, Abchasien und Südossetien zu halten. Zuletzt hatten die Bestrebungen Georgiens, der Nato beitreten zu wollen, und die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo die ohnehin angespannte Stimmung zwischen Tiflis und Moskau zunehmend aufgeheizt.
Für die jüngsten Spannungen machte Kokojty laut Ria Nowosti außer Georgien auch die Ukraine und die USA verantwortlich, die Georgien Scharfschützengewehre zur Verfügung gestellt hatten. „Mitverantwortlich sind auch jene Länder, die das pseudo-demokratische Image Georgiens unterstützen, die Situation in der Region nicht objektiv einschätzen wollen und die internationale Gemeinschaft in die Irre führen", sagte der südossetische Präsident. Georgien beschuldigte hingegen die russischen Friedenstruppe, die seit 1994 in der Konfliktzone stationiert ist, sich aktiv in die Gefechte eingeschaltet zu haben.
Das russische Außenministerium hat am Sonntag alle Seiten aufgerufen, „maximale Zurückhaltung" zu üben, und Georgien erneut aufgefordert, mit seinen abtrünnigen Provinzen einen Vertrag über die Nichtanwendung von Gewalt zu unterzeichnen. Inzwischen hat Südossetien begonnen, Kinder, Frauen und ältere Menschen aus dem Konfliktgebiet zu evakuieren. Laut Reuters sind hunderte Frauen und Kinder von Südossetien in das benachbarte Russland geflohen. (Verena Diethelm aus Moskau, DER STANDARD, Printausgabe, 4.8.2008)