Sagen wir nicht immer Neoliberalismus. Sagen wir klipp und klar, worum es sich beim neuen Wirtschaften handelt: Um einen Neokapitalismus, der die „soziale Marktwirtschaft" abgeschafft hat. Hauptmerkmal dieser Ökonomie: die Preise erhöhen und Arbeitskräfte entlassen, damit der Gewinn steigt. Jüngstes Beispiel: der Verbund. Man könne Strompreis-Erhöhungen nicht ausschließen, weil man ja schließlich die Ertragslage verbessern müsse.
Das Grundprinzip der sozialen Marktwirtschaft war, eine Politik zu betreiben, die den Unternehmen Gewinne ermöglicht, einen Teil davon aber sozial bindet. Die Wirtschaft entwickelte sich dadurch zu einem Rückgrat für die Demokratie der Nachkriegszeit.
Im Unterschied zu Westdeutschland hatte aber nur der österreichische Westen eine mittelständische Marktwirtschaft, die großen Industrien an der Donau, an der Mur und in Wien waren verstaatlicht. Weil sich in den 80er-Jahren sogar in der Sozialdemokratie die Ansicht durchsetzte, dass der Staat als Unternehmer nicht taugte, setzte die Privatisierungswelle ein - oft freilich nur eine Art Entkoppelung, wie man an der AUA und an der ÖBB sehen kann.

Zweifellos auch unter dem Einfluss internationaler Wettbewerbsbedingungen ist in Österreich von sozialer Marktwirtschaft nichts übrig geblieben. Und die ökosoziale Variante von Josef Riegler erst gar nicht realisiert worden. Bis hinauf in höchste Kreis lachen sie noch heute über den „Träumer".
Ein Extrem wurde durch ein anderes abgelöst. Die Staatswirtschaft, hyperpolitisiert und übersozialisiert, war für die Marktdynamik des ausgehenden 20.Jahrhunderts zu teuer geworden. Sie hatte lange einen Vorteil: Die Politik dirigiert sie.
Heute haben wir das andere Extrem: eine internationalisierte Wirtschaft, die keiner Regierung mehr gehorcht, die nicht mehr kontrolliert werden kann und die sich sozialen Anliegen verschließt. Außer sie haben einen Marketing-Aspekt.
Kein Wunder, dass allein deshalb heutige demokratisch gewählte Regierungen keine Macht mehr haben und sich Zeitungszaren unterwerfen oder laufend neue Theaterstücke erfinden. Also lügen Politiker auch nicht, weil sie bloß Schauspieler im Sold der neuen (ökonomisch) Mächtigen sind.

Die reale Auswirkung des Neokapitalismus ist eine Destabilisierung unseres politischen Systems. Zynismus pur: Das System Putin kann mit der kapitalistischen Struktur viel besser umgehen, weil die Entscheidungen nur im Kreml und nicht in der Duma fallen. Singapur ist ein asiatisches Beispiel.
Der österreichische Parlamentarismus ist genauso auf dem Rückzug, wenn auch nicht so dramatisch. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass selbsternannte Demokratisierer einen EU-Vertrag ablehnen, der u. a. eines tut: die Parlamente wieder stärken.
Weil von den beiden sogenannten Großparteien keine Initiativen gegen die Umklammerung durch Mega-Interessen zu erwarten sind, sollten diesmal Ende September die Kleinen eine Chance bekommen - die Grünen, das Liberale Forum, Dinkhauser. Wenn sie gegenüber ihren Geldgebern unabhängig bleiben, stellen sie wenigstens Ruten ins Fenster. (DER STANDARD, Printsazsgabe, 4.8.2008)