Versuch über die Düsternis im Kasino am Schwarzenbergplatz: Dalija Acins "Handle with great care" zeigt bedrohliche Schatten und Schemen der Einbildungskraft.

Foto: ImPulsTanz

Wien - Dass in der zeitgenössischen Choreografie immer neue Arten von Provokationen gefunden werden, zeigt ImPulsTanz mit ganz unterschiedlichen Arbeiten. Alice Chauchat lässt ihre Brüste tanzen, Hooman Sharifi übt harten Polit-Expressionismus, Antony Rizzi neckt als Stand-up-Narziss, Jennifer Lacey führt eine Utopie vor, und Dalija Acin stellt die finsteren Gemächer der Wahrnehmung aus.

Wenn "provozieren" wörtlich "etwas hervorrufen" meint, dann gilt auch, dass ein Kunstwerk nicht nur in sich, sondern auch in seinem Publikum verborgene Eigenschaften zum Vorschein bringt. Verspricht eine Tänzerin etwa einen Brüstetanz, dann reizt das viele. Die junge französische Choreografin Alice Chauchat hat zusammen mit Kollege Frédéric Gies ein "Breast Piece"-Solo geschaffen, das ihr Auditorium im Akademietheater sichtlich überraschte.

Chauchat gelingt es, alle voyeuristisch angehauchten Hoffnungen in den Lustwert ihrer Performance zunichte zu machen. Und doch hievt sie keine billige Empörungslitanei auf die Bühne. Vielmehr befreit die Künstlerin den Zuschauerblick Schicht um Schicht von seinen Anzüglichkeiten. The Breast Piece ist überaus sorgfältig konstruiert. Chauchat arbeitet mit feinsten Bewegungen und starken Bildern, dehnt die Zeit über langsame Passagen hin und komprimiert sie wieder. Ihr Tanz enthält Analogien zu expressionistischer Gestik ebenso wie Anspielungen auf Fitnessgymnastik. Dennoch gibt sie den Verführungen der Symbolwelt nie nach.

Seit sechs Jahren baut Alice Chauchat konsequent an Erörterungen der Repräsentation im Tanz. Es ist kein Zufall, dass Chauchat auch bei Jennifer Laceys bahnbrechender Arbeit Les Assistantes, das ImPulsTanz gerade im Museumsquartier gezeigt hat, beteiligt ist. Denn The Breast Piece markiert eine für das gegenwärtige Jahrzehnt charakteristische politische Haltung im Tanz, die den Prozess des Zuschauens immer wieder von neuem herausfordert.

Dazu gehörte auch die Kostprobe aus dem Stück Ohne Worte von Isabelle Schad, die wie Chauchat Mitglied des losen Berliner Kollektivs "praticable" ist und den Bonustrack zu dem Breast Piece lieferte. Während Chauchat ihre Ironie nicht deutlicher zeigt als die Mona Lisa ihr Lächeln, bedient sich Schad aus dem reichen Fundus der Peinlichkeit im Tanz - und das, ohne zu persiflieren. In homöopatischen Dosen zitiert sie Dilettantismus und Slapstick, um diese zu einer Choreografie zu mischen, deren Witz in einem paradoxen Miteinander von Verballhornung und Achtung des Komischen liegt.

Ganz im Gegensatz zu Antony Rizzi, der - ebenfalls im Akademietheater - in Snowman Sinking als temperamentvoller Alleinunterhalter mit Penny Arcade im Schlepptau den konservativen Rebellen hervorkehrte. Rizzi zelebriert den Treppenwitz stimmungsvoll, mit ein paar visuellen und tänzerischen Goodies aufgepeppt. Rizzi erscheint als narzisstischer Genius, der alle Inhalte hinter seinem Spiegelbild verschwinden lässt.

Neue Gesellschaftsformen

Mit dem Transport seiner Inhalte tut sich auch der Norweger Hooman Sharifi in God exists, the Mother is present, but they no longer care schwer. Vor zwei Jahren hatte der Künstler bei ImPulsTanz mit We failed to hold this reality in mind eine überzeugende Arbeit vorgestellt. Sein neues Gruppenstück jedoch bricht unter Widersprüchlichkeiten zwischen Form und Inhalt zusammen: Sharifi setzt dort auf Expressivität, wo er seine Tänzer hätte zurücknehmen müssen, und auf Doppelungen zwischen Text und Tanz.

Sowohl Snowman Sinking als auch God exists ... sind Ergebnisse einer Kunstauffassung, die über Effekte Botschaften vermitteln will, aber dann doch nur Stoff für Anekdoten liefert - ganz im Gegensatz zu Jennifer Laceys Les Assistantes, die mit überlegener Ironie genau den Geist spüren lassen, der von der Autorin gemeint ist. Die Idee von einer neuen Gesellschaft lässt sich auf der Bühne nur in der Wahl einer neuen Form vermitteln. Und eine solche kann Lacey mit ausgezeichneten Komplizinnen und viel Leichtigkeit umsetzen.

Warum eine bessere Gesellschaft so schwer in die Welt kommen kann, vermittelt die Belgrader Choreografien Dalija Acin in ihrer Innensicht des Wahrnehmungsraums, Handle with great care. So wie im Kopf Düsternis bei ständigem Lärm vorherrschen kann, kriechen Acins vage Figuren als schimmelige, gesichtslose Schatten langsam über ein Doppelbett. Ein konsequentes Stück, das einen dunklen Bereich im Menschsein unsentimental vorführt. (Helmut Ploebst, DER STANDARD/Printausgabe, 04.08.2008)