Es war vergangenes Wochenende. Und auch wenn es geografisch nicht Wien war, war es doch so, als wäre man in der Stadt - und die hätte eben einen See bekommen. Denn Kärntner, hatte die Studentin im Zug gemeint, die nach sechs Wochen Amis-durch-Europa-guiden nun zwei Wochen Erholung „bei den Eltern im Kuhdorf dringend nötig" hatte, würde man am Wörthersee in dieser Nach kaum finden. Keine, die es sich aussuchen könnten. Oder mit denen sie etwas zu tun haben wolle.
Es war „Fete Blanche". Schon als wir am Südbahnhof in den Zug stiegen, hatte es weiß gespukt. Und der Schaffner meinte, dass die Hälfte der Fahrgäste als weiße Gespenster zwischen Velden und Klagenfurt herumgeistern würden. Die, die Gepäck oder was zum Umziehen mit hätten, wären in der Minderheit. Aber in dem Alter sei Durchmachen ja noch kein Problem. Und dass er selbst ein alter Sack sei, verrate ihm der Gedanke, den er beim Anblick von Partykids mittlerweile immer habe: „Haben die keine Eltern, die sich um sie kümmern?" Aber das sei unfair: Bei uns wäre es ja damals nicht anders gewesen.
Leiberlawine
Stunden später steckte ich mitten im weißen Rausch: Um zwei Uhr früh wälzte sich eine Lawine erhitzter Leiber Weiß durch Velden. Man schlurfte - denn in Kärnten schenkt man bei Großevents auf der Straße noch in Glasgebinden aus. Schlurfen verringert die Gefahr, sich eine halbe Bierflasche in die Fußsohle zu rammen beträchtlich.
Was die Fete Blanche - trotz der Wien-Lastigkeit des Publikums - aber von Hauptstadtevents noch unterscheidet, ist die Logik der Transport-Logistiker: „Ich mache um sieben Schluss", hatte der Taxifahrer gesagt, der uns zum Hotel gebracht hatte, „weil in der Nacht viel zu viel los ist. Das ist nur Stress."
Keine Taxis
Der Mann, merkten wir dann in der Nacht, war da kein Einzelgänger: Gefühlte drei Taxis waren in der weißen Nacht in ganz Kärnten unterwegs. Und Hoteliers schätzen stolz, dass etwa 50.000 Menschen unterwegs sind: Beim Versuch, ein Taxi zu ergattern,
entdeckt man da nach eineinhalb Stunden warten & winken die Abgründe der eigenen Seele - aber immerhin sitzt man dann drin.
Die Fahrerin nannte den Fahrpreis, bestätigte, dass das nicht der Fuhrlohn nach Wien, sondern nach Pörtschach sei - und fügte hinzu, dass es zwar teurer würde, wenn noch wer einstiege, aber in der Relation und für den Einzelnen werde es doch billiger. Und: Sie mache die Preise nicht. Die wären abgesprochen - und den Taxameter schalte niemand ein.
Vier sind drei
Drei Leute, winkte sie dann an den Straßenrand, würde sie noch mitnehmen. Vier quetschten sich hinten rein. Einer, meinte die Fahrerin, zu viel. Niemand rührte sich. Sie werde, sagte die Fahrerin, nicht aus Velden raus fahren. Weil die Polizei streng sei: Einer, wiederholte sie, müsse raus.
Eines der drei Mädchen im Fond protestierte: Sie und eine ihrer Freundinnen wären Polzistinnen. Aus Wien. Niemand würde das Taxi behelligen. Der Junge auf der Rückbank bestätigte - und ergänzte, dass er da schon einige Male gute und erstaunliche Erfahrungen gemacht habe.
Dienstausweis
Die Fahrerin überlegte. Dann sagte sie: „Dienstausweis!" Die Polizistin bedauerte: „Den hab ich nicht mit - aber ich sag denen meine Nummer, und die checken das. Glaub mir, das geht." Die Fahrerin war skeptisch: „Und wenn nicht steck ich in der Scheiße."
Jetzt mischte sich die zweite Polizistin ein: „Dein Beifahrer kennt mich." Ich verneinte. Aber die zweite Polizistin in Weiß ließ nicht locker: Oh ja, ich sei doch der vom Fernsehen. Und ich sei damals bei dem Fußballmatch, bei der EURO, neben ihr gestanden. Bei den Schweizern Sie sei diejenige gewesen, die sich so bitter beschwert habe, dass Ronaldo sein Leiberl nicht ausgezogen habe. (Siehe Stadtgeschichte vom 30.6.)
Anonym durch Uniform
Ich drehte mich um, und war mir nicht sicher: Jung und blond, ok. Aber so, wie in Weiß alle Leute ähnlich aussehen, ist das auch bei anderen Uniformen. Aber die Fete-Blanche-Polizistin sagte mir, was ich ihr damals geantwortet hatte. Und mit wem ich dort herumgestanden war.
Ich beschloss, der Frau zu glauben. Und fragte, ob sie sicher sei, dass es schlau sei, bei einer offensichtlichen Übertretung von Vorschriften, auf den Exekutivbonus zu pochen. S., die Polizistin, lachte nur. „Können wir jetzt endlich fahren?"
Gutgläubigkeit
Unsere Fahrerin - eine Studentin aus der Steiermark, die vor dem Einsteigen der Viererbande erklärt hatte, gerade ihre ersten Tage im Taxi zu jobben - gab noch nicht auf: „Gesetze gelten für alle. Auch für Polizisten. Ich weigere mich zu glauben, dass das anders ist." Jetzt mischte sich der Begleiter der drei Frauen ein: „Du bist entweder sehr jung oder sehr dumm." Die Fahrerin resignierte: „Ok, aber dafür zahlt ihr noch 10 Euro extra."
Natürlich hielt uns niemand auf. In Saag, vor der Fabrik, stand dann L., der Fotograf des Seitenblickemagazins, plötzlich mitten auf der Straße. Er wolle, sagte er, nur noch nach Hause. Während ich mit ihm plauderte, stiegen die beiden mutmaßlich echten Polizistinnen aus und verschwanden in der Menge. Ich fuhr weiter. Bis Pörtschach. Dort zahlte ich meinen Anteil - und das am Rücksitz verbliebene Pärchen zickte: Wie sie dazu kämen, den Anteil ihrer Freunde zu bezahlen? Das wären völlig Fremde gewesen. Die Taxifahrerin wolle sie abzocken... und so weiter.
Das Mädchen am Fahrersitz blieb ruhig und höflich. Sie ließ mich ausstiegen. Dann verriegelte sie die Türen und rief mir durchs offene Fenster einen Gruß nach. Und, nein, sie käme schon alleine klar. Aber sie wisse jetzt, wieso sie den Job für diese Nacht so leicht bekommen habe. Und das sei nicht alles, was sie heute gelernt habe. (Thomas Rottenberg/derStandard.at, 4.8.2008)