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Im Alter zwischen zwei und vier Monaten treten die meisten Fälle von plötzlichem Kindstod auf.

Foto: APA/dpa/Patrick Seeger

"Irgendwie habe ich das Bedürfnis, über den Kindstod meines Sohnes zu sprechen", schreibt sie (anonym) in das Internetforum. Im Jahr 2000 hörte er einfach auf zu atmen. Acht Jahre ist das nun her. Aber der Verlust zieht sich immer weiter durch das Leben.

In Österreich sind jährlich zwischen 25 und 35 Babys vom plötzlichen Kindstod betroffen - und damit auch ihre Eltern. Das klingt wenig, und doch steht das unverstandene Sterben, für dass sich häufig keine Ursache finden lässt, damit an erster Stelle unter den Todesarten im Kindesalter jenseits der Neugeborenenphase. Die meisten Babys (etwa 80 Prozent) sind zwischen zwei und vier Monate alt. Mütter und Väter haben sich gerade mit ihnen vertraut gemacht. Sie sind gerade dabei, zu einer Familie zu wachsen und das neue Mitglied zu integrieren. Es ist wohl das Unerklärliche, die plötzliche Stille, es sind die bleibenden und niemals beantworteten Fragen, die Eltern nicht mehr loslassen. Die Ehen zerbrechen lassen. "Wir haben zu verschieden getrauert", schreibt sie.

Ungewissheit

Denen, die ihre Kinder verloren haben, bleibt die Ungewissheit. Künftig aber können Eltern auf mehr Wissen hoffen. Nicht nur, dass Ärzte seit Jahren eine Reihe von Empfehlungen abgeben, wie sich das Risiko eines plötzlichen Kindstods vermeiden lässt. Etwa, das Kind nicht auf dem Bauch schlafen zu lassen oder nicht zu rauchen (siehe Wissen). Sie bringen auch langsam Licht in das Dunkel.

"Wir müssen davon ausgehen, dass es nicht eine, sondern einen ganzen ,Pott' von Ursachen gibt", sagt Arnold Pollak, Vorstand der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde am Allgemeinen Krankenhaus (AKH) in Wien. Etwa die Herzrhythmusstörung - im Fachjargon Long-QT-Syndrom genannt, was sich auf die Phasen des Herzschlags bezieht, die Ärzte am EKG ablesen können. Dabei werden die Abstände der Herzschläge mit der Zeit immer und immer länger, bis es ganz aufhört zu schlagen.

Ursachen im Immunsystem

"Früher hat man etwa diese Herzrhythmusstörung auch zu einer der Ursachen des plötzlichen Kindstods gezählt, weil sie völlig symptomlos verläuft und die Störung nur durch ein EKG diagnostizierbar ist", erzählt Pollak. Die Kenntnis von Herz- und auch tödlichen Stoffwechselkrankheiten und die gestiegene Achtsamkeit spiegeln sich in den Statistiken wieder. In den 1980er-Jahren meldeten Ärzte noch zwischen 100 und 150 Todesfälle pro Jahr, die in den 90er-Jahren rapide auf rund 50 zurückgingen. Allein in Tirol musste der Gerichtsmediziner Walter Rabl (siehe Interview) damals zwischen 20 und 25 Kinder untersuchen, für deren Tod es keine Erklärung gab. "Heute", sagt er, "sind es nur noch zwei bis drei im Jahr."

Schon Anfang der 90er-Jahren kamen verschiedene Studien zu dem Ergebnis, dass durch Bakterien verursachte Vergiftungen oder sogenannte septische Zustandsbilder für den Tod einiger Kinder verantwortlich seien, da der Körper Erreger nicht ausreichend bekämpfen kann und schließlich kollabiert. Lange Zeit blieben diese Theorien unbestätigt. Doch vor zwei Jahren fanden David Drucker und sein Team von der University of Manchester drei Gene, die zum plötzlichen Kindstod beitragen könnten. Sie alle steuern Faktoren des menschlichen Immunsystems.

Dass die Körperabwehr eine maßgebliche Rolle beim plötzlichen Kindstod spielt, zeigen weitere Indizien. So sterben die Kinder häufig in dem Zeitraum, in dem der mitgegebene Immunschutz der Mutter wegfällt, oder es handelt sich um Kinder, die nicht gestillt werden und somit kraft ihrer eigenen Abwehr den Feinden standhalten müssen.

Stillen als Vorsorgemaßnahme

"Neun Monate werden die Ungeborenen von der Mutter mit Antikörpern versorgt, die körperfremde Eindringlinge vernichten", sagt Arnold Pollak. Auch in den ersten Monaten nach der Geburt profitieren sie noch von diesem Pool. Dann versiegt der Schutz von außen. Die Muttermilch kann nur einen Teil des Bedarfs decken. "Trotzdem gehört das Stillen zu den Vorsorgemaßnahmen, die Mütter ergreifen können", so Pollak.

Auch eine weitere Entdeckung aus England Mitte letzten Monats spricht für diese Theorie. Mediziner vom Great Ormond Street Hospital for Children NHS Trust (GOSH) in London, einem Referenzzentrum für Kinderpathologie, untersuchten 507 Kinder, die zwischen 1996 und 2005 gestorben waren. Bei einer Gruppe handelte es sich um Opfer bakterieller Invasionen, bei einer weiteren um Unfallopfer, bei den anderen Kindern hingegen blieb die Todesursache ungeklärt.

"Wir haben verglichen, welche Bakterien den Tod herbeigeführt haben", sagt Neil Sebir vom GOSH. Schließlich blieben 19 Prozent der Fälle über, in denen mit modernen Nachweismethoden ebenfalls bakterielle Infektionen festgestellt werden konnten.

Genetische Untersuchungen, meint auch Arnold Pollak, würden wohl noch weitere Ursachen ans Licht bringen. "Wenn es auch nicht das Kindstod-Gen geben wird, sondern ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren das Leben beendet", fügt er hinzu. Er warnt davor, sich auf eine Erklärung zurückzuziehen. Denn wie die Gerichtsmedizin herausfand, korreliert das Sterben der Kinder mit der Gehirnreifung. Es könnte sogar sein, das die Todesfälle wieder zunehmen, meint Pollak. "Es kommen immer mehr Kinder immer früher zur Welt. Sie haben einen doppelten Nachteil: Zum einen fehlt ihnen der Immunschutz der Mutter, zum anderen sind sie zu schwach, so dass dies den plötzlichen Kindstod begünstigen könnte." (Edda Grabar, DER STANDARD, Printausgabe, 4.8.2008)