Umweltminister Josef Pröll ist felsenfest davon überzeugt, dass Österreich gut daran tut, sich bei Agrosprit zu engagieren: Es gehe um den Willen zu Innovation und Fortschritt und den Mut, neue
Wege anzudenken und zu gehen, sagt er. Viele hervorragende Ideen seien im Vorfeld
scharf kritisiert worden. Die OECD-Kritik sieht er als Kritik an Umweltförderungen "das ist eine Haltung, die ich als äußerst fragwürdig einstufe." Hunger sei ein Verteilungsproblem, und das heimische Engagement in Sachen Agrosprit habe damit wenig zu tun. Die Verwendung von Agrotreibstoffen sei also keineswegs unmoralisch und ökologisch bedenklich, wie Kritiker angesichts der weltweiten Lebensmittelkrise wiederholt monieren. Die Fragen beantwortet Josef Pröll per E-Mail.
***
derStandard.at: Die OECD bezweifelte jüngst den Nutzen von Agrosprit für die Umwelt. "Es gibt sehr viel effizientere Wege, etwas für den Klimaschutz zu tun", meinte OECD-Agrardirektor Stefan Tangermann. Lässt Sie das in Ihrer Überzeugung wanken?
Josef Pröll: Für Länder wie etwa Brasilien oder Indonesien, wo zum Teil Regenwälder gerodet werden, um Zuckerrohr oder Ölpalmen für die Energieproduktion anzubauen oder in denen 40 bis 50 Prozent der Ackerflächen für die Biotreibstoffproduktion eingesetzt werden, ist diese Kritik natürlich gerechtfertigt, denn das hat negative Folgen für die Umwelt und für die Menschen, die die Vorteile der Biokraftstoffe zunichte machen. Aber man muss auch Verständnis für diese Länder haben, da sie diesen Weg gehen, weil sie sich die hohen Erdölpreise einfach nicht leisten können.
derStandard.at: Und hierzulande?
Pröll: Für Europa und für Österreich kann ich Ihre Frage mit einem klaren Nein beantworten. Hier gibt es genug Fläche, die für die Bioenergieproduktion zur Verfügung steht ohne die Umwelt und die Menschen negativ zu belasten. Die OECD-Studie selbst hält ja fest, dass die Treibhausgasbilanz der Biokraftstoffe grundsätzlich positiv ausfällt. Sie belegt eine Reduktion der Treibhausgasemissionen bei Biodiesel aus Ölsaaten zwischen 40 und 55 Prozent, bei Ethanol aus Weizen und Rübe zwischen 30 und 60 Prozent, aus Mais zwischen 20 und 50 Prozent und aus Zuckerrohr zwischen 70 und 90 Prozent. Nach einer Ökobilanzrechnung des Umweltbundesamtes zu Biokraftstoffen, die die ganze Prozesskette miteinbezieht, sind auch im schlechtesten Fall die Emissionen von Biokraftstoffen im Vergleich zu fossilen Brennstoffen noch immer um 13 Prozent niedriger. Biokraftstoffe reduzieren also nachweislich den CO2-Ausstoß und sollen daher auch eingesetzt werden. Mit der Beimischung von Biokraftstoffen zu Benzin und Diesel haben wir 2006 erstmals eine Trendwende bei den Treibhausgasemissionen im Verkehrssektor geschafft und einen Rückgang um fünf Prozent verzeichnet. Das sind eine Million Tonnen CO2. Mit einer höheren Beimischung werden wir noch bessere Reduktionswerte schaffen und damit im Verkehrssektor einen wesentlichen Beitrag für den Klimaschutz durch Biokraftstoffe leisten und gleichzeitig das Preisniveau der Treibstoffe stabilisieren.
derStandard.at: Eine Kritik lautet auch, die Verwendung von Agrotreibstoffen sei "angesichts der weltweiten Lebensmittelkrise unmoralisch und ökologisch bedenklich" (u. a. Global 2000). Was geht Ihnen bei solchen Aussagen durch den Kopf?
Pröll: Wie gesagt, steht in Österreich genug Fläche für die Nahrungsmittelproduktion UND die Biotreibstoffproduktion zur Verfügung. Mit dem Aussetzen der Stilllegungsverpflichtung erhöht sich die Hektaranzahl noch. Bei der Produktion von Biotreibstoffen gilt in Österreich und Europa die Reihenfolge Teller, Trog und Tank, das heißt, die Erzeugung von Biokraftstoffen steht an letzter Stelle, zuerst kommt die Versorgung von Menschen und Tieren. Gleichzeitig sind innerhalb der EU die Landwirte zur Einhaltung der Bestimmungen der Cross Compliance verpflichtet.
derStandard.at: Was bedeutet das?
Pröll: Das beinhaltet auch die generelle Verpflichtung, landwirtschaftliche Flächen in einem guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand zu erhalten. Auf EU-Ebene setze ich mich dafür ein, Nachhaltigkeitskriterien für Biokraftstoffe einzuführen, und selbstverständlich sind für in Österreich geltende Auflagen der Cross Compliance analoge Auflagen auch für Flächen in Drittstaaten vorzusehen. Die Verwendung von Biotreibstoffen ist unter diesen Voraussetzungen also weder unmoralisch noch ökologisch bedenklich, aber man muss sich mit diesen Argumenten auseinandersetzen.
derStandard.at: Kein Zusammenhang mit dem verschärften Hungerproblem?
Pröll: Weltweit gesehen, sind dort Bedenken gerechtfertigt, wo bis zur Hälfte der Flächen für die Produktion von Biokraftstoffen eingesetzt werden und die Lebensmittelversorgung nicht gesichert bzw. nicht ausreichend gegeben ist. Aber auch international wurden 2007 lediglich 4,5 Prozent des Welt-Getreideaufkommens für Biotreibstoffe eingesetzt. Auf den Weltmärkten gibt es grundsätzlich genügend agrarische Rohstoffe, Hunger ist ein Verteilungsproblem und in vielen Ländern das Problem einer verfehlten Agrarpolitik, die diese Länder zwingt, Getreide zu hohen Weltmarktpreisen einzukaufen. Man muss also woanders ansetzen, mit diesen Argumenten weltweit die Erzeugung von Biokraftstoffen zu blockieren, ist fahrlässig. Man muss sehen, dass gerade diese Länder vom Klimawandel am ärgsten betroffen sein würden, und hier haben die Industrieländer eine klare Verantwortung. Biokraftstoffe müssen einen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels leisten und zur Reduktion der Emissionen aus dem Verkehrssektor eingesetzt werden. In Europa, in Österreich Biokraftstoffe zu produzieren bringt ausschließlich Vorteile und macht Sinn, deshalb setze ich mich weiter massiv dafür ein.
derStandard.at: Deutschlands Umweltminister Gabriel ist jüngst vom ursprünglichen Ziel, bis 2020 20 Prozent des Treibstoffbedarfs aus Agrosprit abzudecken, zurückgerudert. Ein Grund war, dass benzinbetriebene Autos offenbar den erhöhten Ethanolanteil im Sprit nicht vertragen. Worauf müssen sich Österreichs Autofahrer gefasst machen?
Pröll: In Österreich werden derzeit flächendeckend an den Tankstellen rund fünf Prozent Biodiesel zum Diesel und ebenso rund fünf Prozent Bioethanol zu Benzin beigemischt. Diese Beimischungen von Biokraftstoffen entsprechen der auch für Österreich gültigen Europäischen Kraftstoffnorm und sind für alle am Markt befindlichen Fahrzeuge freigegeben. Das von uns angepeilte Ziel von zehn Prozent Biokraftstoffen bis 2010 bezieht sich auf den gesamten in Verkehr gebrachten Kraftstoff in Österreich. Ein derartiges Ziel kann, neben einer Beimischung, beispielsweise auch durch den verstärkten Einsatz von reinen Biokraftstoffen, wie 100 Prozent Biodiesel in LKW-Flotten oder E85 - das ist ein Kraftstoff, der 85 Prozent Bioethanol enthält - erreicht werden. Eine etwaige flächendeckende Beimischung von mehr als fünf Prozent Biokraftstoffen in Österreich würde nur nach dem Vorliegen einer entsprechenden Kraftstoffnorm und der Freigabe durch die Automobilhersteller durchgeführt werden. Darüber hinaus wäre sie mit einer entsprechenden Kennzeichnung an den Tankstellen für diese Kraftstoffsorten verbunden, um mögliche Schäden an Fahrzeugen von vorne herein ausschließen zu können. Österreichs Autofahrer haben also nichts zu befürchten.
derStandard.at: Bauernbund-Präsident Fritz Grillitsch sieht rosige Zeiten auf Österreich zukommen, 750 Millionen Liter Biotreibstoff sollen gewonnen werden. Er erwartet sich damit eine Wertschöpfung von einer Milliarde Euro im Land. Sehen Sie diese Zahlen auch?
Pröll: Der Bereich der Biokraftstoffe birgt ein enormes Potenzial. Er steigert im strukturschwachen und benachteiligten ländlichen Raum die Wertschöpfung durch neue Möglichkeiten für Landwirte und schafft zusätzliche Arbeitsplätze. Darüber hinaus sind im Sektor Umwelttechnologie neue Arbeitsplätze und geldbringende Innovationen möglich. Die Reduzierung der Abhängigkeit von Erdöl durch heimische Produktion von Biokraftstoffen vermindert zudem den Kaufkraftabfluss in Erdölländer und stärkt die österreichische Wirtschaft.
derStandard.at: Was wäre ein konkretes Projekt?
Pröll: Ein Vorzeigeprojekt ist die erst kürzlich eröffnete Bioethanol-Anlage in Pischelsdorf bei Tulln. Damit haben wir die Möglichkeit, Bioethanol aus rein österreichischen Rohstoffen herzustellen. Zusätzlich fällt bei der Erzeugung als Nebenprodukt wertvolles Eiweißfuttermittel, DDGS, an. Ein Kilogramm Getreideschlempe oder Rapsschrot ersetzen 0,72 Kilogramm Sojaschrot. In der Bioethanol-Anlage Pischelsdorf können bis zu 180.000 Tonnen Eiweißfuttermittel anfallen, das ersetzt 130.000 Tonnen Sojaschrot. Damit können wir unsere Sojaschrotimporte reduzieren, was in Entwicklungsländern wieder Flächen für die Nahrungsmittelproduktion frei macht. Darüber hinaus können wir neben der Reduktion der Treibhausgasemissionen durch den Einsatz des Bioethanols nochmals massiv die entstehenden Treibhausgase durch die verminderten Eiweißfutterimporte reduzieren. Die positive Bilanz bei der Wertschöpfung ist also auch mit einer positiven Umweltbilanz gekoppelt.
derStandard.at: Stehen die Bauern mit der positiven Einschätzung nicht inzwischen allein auf weiter Flur, und setzt sich hier die Agrarlobby gegen alle ökonomischen, ökologischen und moralischen Bedenken durch?
Pröll: Es gibt eine immer größere Zahl von Menschen und Unternehmen, die auf nachwachsende Rohstoffe setzen und es ist gut, dass die österreichische Landwirtschaft dabei aktiv mitmischt. Mit der Erzeugung von Biomasse liegen wir auf Platz vier im europäischen Spitzenfeld und es gilt, unsere Position im Bereich Erneuerbarer Energien weiter auszubauen. Österreich ist zu rund 70 Prozent von Erdöl, Erdgas und Kohle aus dem Ausland abhängig, und der Einsatz von heimischer Bioenergie ist eine realistische Möglichkeit, dieser Abhängigkeit von Erdölländern etwas entgegenzusetzen und sie massiv zu verringern. Ich bin stolz darauf, dass die österreichische Landwirtschaft frühzeitig auf nachwachsende Rohstoffe gesetzt hat und mitgeholfen hat, dass Österreich bei Alternativenergien Spitzenreiter ist.
derStandard.at: Es bleibt also dabei, Sie haben keine Zweifel...
Pröll: Es geht um den Willen zu Innovation und Fortschritt und den Mut, neue Wege anzudenken und zu gehen. Viele hervorragende Ideen sind im Vorfeld scharf kritisiert worden. Ich bin überzeugt, dass es sich hier genauso verhält.
derStandard.at: Die OECD nennt für 2006 Gesamtkosten für Subventionen von 11 Milliarden Dollar. Wie hoch fallen die "Biospritförderungen" (im weitesten Sinn) in Österreich aus?
Pröll: In den vergangenen Jahren sind wir gut damit gefahren, im Bereich Erneuerbarer Energien die Einführung neuer Technologien zu unterstützen. Wir ersparen uns damit auch die Kosten, die anfallen würden, wenn wir die Klimaziele nicht erreichen. Die Bezeichnung Biospritförderung ist irreführend, aber in Österreich sind Kraftstoffe, die schwefelfrei sind und Beimischungen von Biokraftstoffen enthalten, durch die Spreizung der Mineralölsteuer steuerlich begünstigt. Darüber hinaus gilt seit 1. Juli die neue NoVA mit einem Bonus/Malus-System. Für PKWs mit einem CO2 -Ausstoß von höchstens 120 g/km gibt es einen Bonus von 300 Euro. Falls die NOx-Grenzwerte der künftigen EURO 6 Abgasnorm bereits jetzt eingehalten werden, 200 Euro, und 500 Euro für alternativ betriebene Fahrzeuge wie Hybrid, E85 , Methan in Form von Erdgas/Biogas, Wasserstoff oder Flüssiggas. Neben der Steuererleichterung forcieren wir über Förderinstrumente wie die Umweltförderung oder den Klima- und Energiefonds innovative, umweltfreundliche Technologien, und es gibt Investitionsförderungen für die Anlagenerrichtung. Die OECD kritisiert Umweltförderungen, das ist eine Haltung, die ich als äußerst fragwürdig einstufe. Umwelt-Investitionen, die jetzt getätigt werden, amortisieren sich vielfach in der Zukunft. Nur Nichthandeln wird uns weltweit exorbitant teuer kommen. Das möchte ich für Österreich verhindern. (Regina Bruckner/derStandard.at 8.8.2008)