Bild nicht mehr verfügbar.

Innenminister Maria Fekter steigt mit der Einführung des "Kulturdelikts" in den Wahlkampfring.

Foto: APA/Techt

Wien - "Wir brauchen so einen Begriff mit Sicherheit nicht. Ich verstehe auch den Sinn überhaupt nicht." Justizministerin Maria Berger (SPÖ) reagiert auf den jüngsten Vorstoß aus dem Innenressort befremdet, denn: "Ein Mord ist ein Mord - auch wenn er ein Ehrenmord ist. Und dies gilt auch für die anderen Delikte, wir haben ja einen entsprechenden Strafenkatalog."

Bergers Verwunderung hat Innenministerin Maria Fekter(ÖVP) dadurch ausgelöst, indem sie in der Diskussion über Ausländerkriminalität die Einführung eines neuen Begriffs fordert: des "Kulturdelikts". Mit diesemWort sollten, meint Fekter, jene Taten bezeichnet werden, die nach österreichischen Gesetzen illegal seien, im Verständnis von Menschen aus dem Ausland aber zu ihren Traditionen gehören würden. Fekter hatte gleich auch noch eine Steigerungsform parat: "extreme Kulturdelikte" .Gemeint sind Ehrenmorde, Genitalverstümmelung und Zwangsverheiratung.

Auch in Wien will man von Fekters Kulturdelikten nichts wissen. "Die Diskussion um Ausländerkriminalität mit den hochsensiblen Themen Genitalverstümmelung und Zwangsheirat zu verquicken, zeugt von mangelnder Empathie und Wissen" , ärgert sich Frauen- und Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ): "Wenn jemand gegen die Gesetze in Österreich verstößt, ist das ein strafrechtlicher Tatbestand, der zu ahnden ist."

Tradition als Argument

Fekter argumentierte, dass "für diese Delikte oft das Unrechtsbewusstsein nicht vorhanden" sei. Aus der Tradition heraus würden die Täter glauben, dass sie dafür eine Rechtfertigung hätten. Fekter: "Und ich glaube, dass es notwendig ist, dass man das beim Namen nennt. Damit alle wissen, die bei uns hier leben: Wie ist unsere Wertordnung und woran müssen sie sich halten."

Bei den Beratungsstellen für Migrantinnen warnt man vor dem Vorschlag Fekters. Die Bezeichnung "Kulturdelikt" sei "unbedingt abzulehnen", sagt Maria Rösslhumer, Obfrau des Vereins autonomer Frauenhäuser, im Gespräch mit dem Standard. Er würde nur zu einer "Stigmatisierung" führen und sei ein weiterer "Versuch, alle Probleme auf andere Kulturen und Religionen abzuwälzen".

Ähnlich argumentiert auch der Obmann des Antirassismusvereins "Zara". "Der Begriff unterstellt kulturelle Nähe zu bestimmten Sorten von Verbrechen" , sagt Dieter Schindlauer. Es sei eine "unnötige Einschränkung. Gerade imStrafrecht geht es darum, nicht zu schauen, woher jemand kommt."

"Problematisch" findet es auch Rosa Logar von der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt, bei Strafdelikten nach Kulturen zu unterscheiden. Jedes Delikt sei kulturbedingt. "Stark partriarchalische Strukturen haben auch in Österreich zu Fällen wie Amstetten geführt" , argumentiert Logar. Außerdem reiche das bestehende Strafrecht völlig aus, da es ohnehin schon Delikte wie Zwangsverheiratungen beinhalte.

Opferhilfe forcieren

Wichtiger sei es, erklärt Logar, die Opferhilfe und die Gewaltprävention zu forcieren. Als konkrete, wirkungsvolle Maßnahme, wünscht sich die Geschäftsführerin der Interventionsstelle von der Innenministerin ein vom Mann unabhängiges Aufenthaltsrecht für Frauen. "Viele Frauen reisen mit einem Familienvisum ein, das zu einer besonderen Abhängigkeit vom Mann führt".

Dass ein Straftatbestand "Kulturdelikt" positive, praktische Auswirkungen auf die Integrationsarbeit haben könnte, bezweifelt auch Midhat Durak von der Integrations-Beratungsstelle "Horizont" in Wiener Neustadt. Eine Schubladisierung der Betroffenen müsse vermieden werden, da sich diese dann zurückziehen würden.
Tatbeständen wie Zwangsehe und Genitalverstümmelung kämen dann noch weniger ans Licht als schon jetzt.

Und da sind sich wiederum die Experten einig: Der Graubereich bei den angesprochenen Delikten sei hoch: "Wir wissen noch zu wenig, was in Österreich alles passiert" , heißt es etwa seitens der Frauenhäuser. (kw, mro, pm/DER STANDARD, Printausgabe, 9.8.2008)