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Von "hässlich Rempeleien zwischen Polizei und Journalisten, die von den Polizisten ausgingen" und einer "ziemlichen Spannung" berichtet Johnny Erling aus Peking.

Foto: AP/Robert F. Bukaty

"Es herrscht im Augenblick eine ziemliche Spannung." Johnny Erling berichtet seit über zehn Jahren für den STANDARD aus China.  Die Olympischen Spiele und die internationale Aufmerksamkeit der letzten Monate habe die Arbeitsbedingungen für Journalisten vor Ort zwar etwas erleichtert, meint er im Interview, die Lage sei aber weiterhin gespannt.

Erling beobachtet auch eine Öffnung in China, die er nicht zuletzt auf den Wirtschaftsboom zurückführt. "Die Leute erkennen Ihre Interessen und setzen sich dafür ein." Sehr langsam aber doch beginne das Zensurmonopol etwas aufzubrechen, Verbesserungen am Justizsektor seien zu beobachten. Aber China wolle schließlich eine Weltmacht sein und müsse auch an diesem Anspruch gemessen werden, so Erling. 

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derStandard.at: Hat sich die Situation für ausländische Journalisten in China wegen der Olympischen Spiele verbessert?

Erling: Im Großen und Ganzen ja. Mit den Olympischen Spielen hat die Regierung eine Verpflichtung übernommen, Recherchen nicht zu behindern. Das war früher nicht so. Innerhalb dieses Rahmens gibt es aber weiterhin ein Auf und Ab und wir merken sehr wohl, dass das Ganze noch von starker Willkür geprägt ist. Dort, wo es um sensible Themen geht, werden die Behörden schnell nervös. Eine Reihe meiner Bekannten, die der Dissidentenszene angehören stehen zum Beispiel unter Beobachtung. Ich kann zwar mit Ihnen telefonieren, sie aber nicht treffen, weil sie quasi unter einer Art "Hausarrest" stehen. Es gab auch hässliche Rempeleien zwischen Polizei und Journalisten, die von den Polizisten ausgingen. Es herrscht im Augenblick eine ziemliche Spannung.


derStandard.at: Pekings Behörden haben sich also auf die internationale Kritik eingestellt und agieren jetzt routinierter?

Erling: Es ist klar, dass allem, was unter den Augen des IOC, der zahlreichen Staatsgäste und der internationalen Journalisten passiert, sehr mit äußerster Vorsicht begegnet wird. Die ausländischen Initiatoren kleinerer Demonstration werden gleich abgeschoben, ohne viel länger in Haft zu bleiben. Wir haben allerdings heute eine Nachricht bekommen, dass es wieder zu einer kleineren Explosion gekommen ist. Das können wir aber nicht verifizieren, weil es keine offizielle Reaktion gibt.

derStandard.at: Welcherart sind die Unterschiede der Behörden im Umgang mit internationalen und nationalen Medien? Befinden Sie sich im Austausch mit chinesischen Journalisten?

Erling: Ja. Wenn es hart auf hart kommt, sind internationale Journalisten natürlich viel besser geschützt, als die einheimische Presse. Ansonsten haben es die einheimischen Journalisten auch teilweise leichter, weil sie nicht so auffallen. Es gibt übrigens eine Reihe von sehr begabten und effektiven Enthüllungsjournalisten.

derStandard.at: Interessiert sich der "normale Bürger"  in China überhaupt für Menschenrechte und Meinungsfreiheit?

Erling: Den normalen Pekinger auf der Straße interessiert natürlich nicht, wenn irgendein Menschenrechtsaktivist in einer Provinz Probleme mit den Behörden bekommt. Das Problem für den "normalen Bürger" beginnt, wenn er betroffen ist. Zum Beispiel, wenn sein Haus wegen einer staatlichen Baumaßnahme abgerissen wird, und er nicht die Möglichkeit hat, dagegen zu protestieren. Oder wenn er einer der vielen Hauskirchenchristen (nicht registrierte Christen, Anm.) ist, die sich in kleinen Gruppen treffen und regelmäßig von der Polizei bedroht werden.

Auch wenn sich in letzter Zeit viel am Justizsektor gebessert hat und die Leute immer mehr Rechte bekommen, muss China an seinem Anspruch gemessen werden. China will schließlich eine Weltmacht sein und ist damit verantwortbar. Es muss dazu Stellung nehmen, wie es zum Beispiel mit seinen Wanderarbeitern, Kinderarbeit und unteilbaren Menschenrechten umgeht, wie seine Darfurpolitik ausschaut. Eine generelle Antihaltung gegen China ist aber Unsinn.

derStandard.at: Hat der Wirtschaftsboom in China mit dieser schrittweisen Verbesserung zu tun?

Erling: Im Prinzip ja. Es ist zwar kein Automatismus, aber je besser sich eine Gesellschaft wirtschaftlich entwickelt, desto größer sind die Interessenkonflikte in dieser Gesellschaft. Eine besser entwickelte Wirtschaft braucht Zugang zu Informationen, zu weltweiten Nachrichten. So brechen langsam Nachrichten- und Zensurmonopole auf. Letztes Jahr konnte die Mittelschicht beispielsweise auch ein Eigentumsrecht durchsetzen, ebenfalls eine Entwicklung aus der Wirtschaft heraus. Die Leute erkennen Ihre Interessen und setzen sich dafür ein. Engagierte und mutige Anwälte spielen hier eine große Rolle.

derStandard.at: Kann man sagen, dass sich eine Zivilgesellschaft entwickelt?

Erling: Nicht jede Gruppe, die für etwas eintritt, ist per se etwas Positives. Aber immer mehr Leute organisieren sich in Teilbereichen, um ihre Interessen nachhaltig und friedlich zu vertreten. Besonders in den Städten ist das mittlerweile stark entwickelt, aber auch in den Bauerndörfern existieren solche Initiativen. Engagement entwickelt sich zum Beispiel dort, wo durch verschmutzte Flüsse oder belastete Böden Krankheitsfälle auftreten.

derStandard.at: Wird internationale Missbilligung der Menschenrechtslage wie jetzt durch Noch-Präsident Bush Ihrer Meinung nach am Menschenrechtsstandard in China etwas verbessern können?

Erling: Wie gesagt: Wenn China eine Weltmacht sein will, muss es sich verantworten. Speziell Bush ist allerdings, was China betrifft, ein versierter Politiker. Die Chinesen wissen, dass er sie kritisieren wird, das ist aber nicht mehr als Begleitmusik. Bevor Bush gestern nach China gefahren ist, hat Bush noch etwas anderes gesagt: Er hat gemeint, dass er kommt, weil er mit einer Absage etliche Chinesen beleidigen würde. Dieser Satz hat in China sehr viel mehr - positive - Resonanz erzeugt. Außerdem gibt es ja ein sehr spezifisches Verhältnis zwischen China und der Familie Bush. George Bush und seine Frau Barbara haben ja vor Jahren in China gearbeitet (Der Vater des aktuellen US-Präsidenten war 1974/75 Leiter des amerikanischen Verbindungsbüros in Peking, Anm.). Der jetzige Außenminister war damals sein Mitarbeiter. Die Tochter Dorothy ist in Peking getauft worden. Es gibt natürlich große Interessensunterschiede zwischen den USA, Europa und den Chinesen. Die persönliche Chemie zwischen Bush und China stimmt allerdings.

derStandard.at: Entwickeln sich in China auch nationalistische Tendenzen?

Erling: Was ich mitbekomme ist, dass bei vielen Schüler- und Studentengruppen der patriotische Gedanke sehr stark Fuß fasst. Eine ausgeprägte Form des Nationalismus ist aber nicht zu beobachten. Das ist mehr eine Gegenreaktion auf diverse internationale Kritik an China, nach dem Motto: "Ihr dort und wir hier". (Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at, 9.8.2008)