Bild nicht mehr verfügbar.

Franz Fischler

Foto: orlowski/Getty Images

Kein vernünftig denkender Mensch würde auf die Idee kommen, ein kompliziertes Kartenspiel mit mehreren Spielern durchzuziehen, ohne Konsens bei den Spielregeln. Chaos und Streit wären zwangsläufig die Folge.

Der weltweite Handel schlittert durch das Scheitern der WTO-Verhandlungen in genau diese Situation. Allerdings mit ungleich schlimmeren Konsequenzen. Das Nichtzustandekommen verbesserter Regeln für den Welthandel erzeugt einen weit größeren Schaden als die Immobilienkrise in den USA und nimmt vielen Entwicklungsländern die Chance, der Armutsfalle zu entkommen.

Katzenjammer und gegenseitige Schuldzuweisungen sind nach jahrelangen harten Verhandlungen menschlich verständlich, bringen allerdings nichts als mediale Schlagzeilen. Nur Zuwarten und Zuschauen bringt aber noch weniger. Wenn schon keine Entscheidung über das Ergebnis der Doha-Runde zustande gebracht wurde, dann muss man zumindest Klarheit schaffen, ob die Verhandlungen fortgesetzt werden oder ein Neustart erfolgt.

Nach den ursprünglichen Plänen wäre die Hälfte der Implementierungszeit bereits vorbei, hätte man die Ambitionen etwas zurückgeschraubt und rechtzeitig eine Vereinbarung getroffen, wäre man heute viel weiter als man derzeit ist.

Keinen Zweifel kann es jedenfalls darüber geben, dass ein globaler werdender Handel klare und faire Regeln braucht und alles andere, ob bilaterale Abkommen oder Streitbeilegungsverfahren, bestenfalls zweitbeste Lösungen sein können. Ohne internationale Vereinbarungen würde schon bald das Gesetz der Wildnis herrschen, "die Großen" könnten ohne Wimpernzucken "die Kleinen" oder "Schwächeren" zum Frühstück verspeisen.

Eine Reihe von neuen bilateralen Verträgen mit den Entwicklungsländern als Verlierern wäre die Folge. Auch die Landwirtschaft der EU könnte verlieren, die gemeinsame Agrarpolitik geschwächt und verstärkt Angriffen wegen Handelsverzerrungen ausgesetzt sein.

Der Welthandel muss weiterentwickelt werden. Sonst bleiben die Ärmsten der Erde und die Umwelt auf der Strecke. Es ist naiv zu glauben, dass rücksichtsloses Wirtschaften auf Kosten von begrenzten Ressourcen ohne dramatische Folgen möglich ist. Der Klimawandel zeigt uns schon jetzt, wo es künftig langgehen wird, wenn wir nichts ändern.

Eine reformierte WTO könnte den nötigen Rahmen für neue soziale, ökologische und ökonomische Rahmenbedingungen bilden. Aber die WTO ist nur so gut, wie ihre Mitgliedstaaten. Diese müssen endlich bereit sein, ihren Egoismus aufzugeben und die Karten offen auf den Tisch zu legen. Das starre Beharren auf alten Standpunkten und das Spiel "Wer sich zuerst bewegt, hat verloren" bringt nur Stillstand, bringt aber nichts voran. Es hat den Anschein, dass einige Länder die WTO lediglich als Feigenblatt benutzen, um vor der Welt als gesprächsbereit dazustehen. Wer am besten blufft, siegt. So kann fairer Handel nicht funktionieren.

Neben wirtschaftlichen Interessen müssen künftig auch soziale und ökologische Themen wie Ernährungssicherheit und Klima- und Umweltschutz fixe Themen auf der Agenda der WTO-Verhandlungen sein. Alles andere wäre eine Vogel-Strauß-Politik auf Kosten künftiger Generationen und der Entwicklungsländer.

Die höchst unterschiedlichen Interessen aller Mitgliedstaaten müssen unter einen Hut gebracht werden. Das macht Verhandlungen in der WTO so kompliziert. Einfache Lösungen mithilfe eines Jokers wird es nicht spielen, deshalb ist es wichtig, dass alle den nächsten Schritt tun - und der kann nur heißen: zurück an den Verhandlungstisch und Entscheidungen fällen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9.8.2008)