Eine unspektakuläre Rede reichte für 98 Prozent Zustimmung, für Vorgänger Alfred Gusenbauer gab es Krokodilstränen.

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Man merkt kaum, dass er da ist. Die Genossen stehen noch tratschend herum, als sich Werner Faymann in den Saal schummelt und jedem die Hand entgegenstreckt, der ihm zu nahe kommt. Kein pompöser Einmarsch wie sonst bei Parteitagen üblich, sondern ein Auftritt auf leisen Sohlen.

Die Inszenierung ist stimmig. Auch an die Parteispitze hat es Faymann über Schleichwege geschafft. Immer wieder hat er beteuert, Alfred Gusenbauer nicht als SPÖ-Chef ablösen zu wollen - und es schließlich doch getan. Beim Parteitag am Freitag besiegelten die Sozialdemokraten nun offiziell, was schon länger feststeht.
Ein Machtwechsel in aller Freundschaft - das ist die Geschichte, die an diesem Nachmittag aufgetischt wird.

Artig entschuldigt sich Gusenbauer für "Fehler", böse Worte über die Genossen, die ihn abmontiert haben, verkneift er sich. Als der Kanzler ein letztes Mal seine Vision von einer Synthese aus Liberalismus und sozialer Gerechtigkeit entwirft, erntet er so viel Applaus wie schon lange nicht. Die SPÖ-Granden spenden pflichtschuldig Dank.

Verletzter Genossen-Stolz

Nicht das ganze Publikum spielt mit. "Diese Krokodilstränen sind ja unappetitlich", mokiert sich ein Delegierter, eine andere stürmt als Einzige mit einem Blumenstrauß auf die Bühne. Diese Geste habe es gebraucht. Für Alfred Gusenbauer und für sie selbst. Margit Obermayr richtet sich ihr rosa Kostüm zurecht. Für die 70-jährige Gastdelegierte war es "der einzig glückliche Moment" bei diesem Parteitag.

Eine Welt sei für sie in den letzten Wochen zusammengebrochen. "Ich war immer stolz auf die Sozialdemokratie, jetzt bin es nicht mehr. Kritik ist gut und wichtig. Aber so ist man in der SPÖ noch mit keinem umgegangen" , ärgert sich Obermayr. "Charmant und intelligent" sei Gusenbauer, und er habe erkannt, dass man mit den alten Rezepten und Slogans heute nicht mehr arbeiten könne. "Doch für so einen mutigen Schritt sind die Ansichten der meisten Funktinonäre zu verkrustet" , glaubt Obermayr. Unverständlich sei für sie auch, wie man jemandem vorwerfen könne, dass er "lieber in die Oper als zum ‚Musikantenstadl‘ geht oder ein gepflegtes Glas Wein statt dem Bier aus der Flasche trinkt" . Und überhaupt: "Und wenn schon die eigene Partei den Herrn Gusenbauer demontiert, dann sollte man einen ganz besonderen Kandidaten in petto haben - aber den Faymann?"

Minuten später tritt dieser trotzdem hinters Rednerpult und betätigt sich erst einmal als Spaßbremse. "Wie kann es passieren, dass sich 50 Prozent unserer Wähler überlegen, uns noch einmal ihre Stimme zu geben?" , fragt er ins Publikum, um dann bekannte Rezepte ("soziales Gegenwicht zum Markt" ) anzubieten. Eine Nuance traditioneller als sein Vorgänger legt es der "Neue" an, schließlich muss für den Wahlkampf das Vertrauen der Funktionäre gewonnen werden. Während sich Gusenbauer in seiner Rede noch gegen Rezepte der Siebzigerjahre gewandt hat, setzt Faymann zu einem ausführlichen Lob der Kreisky-Jahre an. Ein Exkurs über die eigene Kindheit in der Substandardwohnung inklusive.

"Die Frage des Stils wird eine große Rolle spielen" - Faymann meint damit die Regierung, der Satz passt aber auch auf die SPÖ. Neue Ideen hat sich am Parteitag kaum jemand erwartet. "Aber Faymann ist einfach ein anderer Mensch", sagt Gewerkschaftsboss Rudolf Hundstorfer, der Gusenbauers Ablöse mitbetrieben hat: "Offener im Umgang mit den Menschen." Staatssekretär Christoph Matznetter nennt ihn "mehr, down to earth‘"

Diese Meinungen sind durchaus repräsentativ: Satte 98,36 Prozent wählen Faymann zum SPÖ-Chef.

Bei so vielen Vorschusslorbeeren kann sich Faymann sogar einen Schmäh auf Kosten der eigenen Partei leisten, den man Gusenbauer vielleicht prompt übelgenommen hätte. Zum Thema Humor in der Wiener SPÖ fällt ihm ein Zitat von Marcel Reich-Ranicki ein: "Manchmal amüsieren wir uns am liebsten unter unserem Niveau." (von Gerald John und Markus Rohrhofer/DER STANDARD, Printausgabe, 9.8.2008)