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Heuer ist es die chinesische Regierung, die das Sportereignis gezielt als "Selbstdarstellung, als Zementierung der Macht" (FAZ) nutzt.

Foto: APA/EPA/Daniel Dal Zennaro

Wenn dieser Tage auf allen Fernsehschirmen die Fahnen wehen, wenn junge Menschen paradieren, flammende Reden gehalten werden und Musik und prägnante Symbole für Stimmung sorgen, dann weiß man, dass wieder vier Jahre vergangen sind. "Spiele" beherrschen die Öffentlichkeit und sollen beweisen, dass die Völker friedlich miteinander können, wenn sie nur wollen.

Olympische Wettkämpfe sind wie wenige Ereignisse dazu geeignet, Leistungen ins globale Schaufenster zu stellen. Auch die der Athleten, gewiss, mindestens so sehr aber die der Veranstalter. Heuer ist es die chinesische Regierung, die das Sportereignis gezielt als "Selbstdarstellung, als Zementierung der Macht" (FAZ) nutzt, die die Bilder und Töne, die Fahnen und die Hymnen als Symphonie eines neuen Selbstbewusstseins inszeniert und die erkannt hat, dass auch die Architektur der Spiele zum "Schmieden einer neuen Identität" (New York Times) beiträgt.

In seiner Rolle als Gastgeber kann China in die Hülle des allseits positiv empfundenen Ereignisses hineinschlüpfen wie in einen Maßanzug. Die Voraussetzungen dafür, dass es selber als positiv wahrgenommen wird, sind gegeben. Und auch wenn unliebsame Kräfte wie der aufgeflammte Konflikt um Tibet den Ablauf ein wenig stören, ist der Erfolg vorhersehbar. Zu viele Interessen hängen daran, von den alle vier Jahre heftig und völlig folgenlos kritisierten Milliardeneinkünften des IOC bis zu den Strategien der Sponsoren und eben dem Kalkül der politischen Kaste.

Zu diesem Kalkül zählen gerade die Rituale der Eröffnung und der vielen Siegesfeiern, die weltweit verfolgt werden. Denn ihre Verwandtschaft mit im engeren Sinn staatstragenden Maßnahmen sind unübersehbar. Was die Volksrepublik hier sozusagen sich ausborgt bzw. für die Allgemeinheit inszeniert, ist nur die Variante einer grundsätzlichen Strategie. In Peking 2008 fallen die beiden Ziele - mit dem Segen des Olympischen Komitees - zusammen: die höhere Ehre des Sports. Und die höhere Ehre der Nation.

Dass den Kommentatoren dazu Vergleiche mit Zementieren und Schmieden einfallen, liegt an der Absicht der Inszenierungen. Weit über die momentane Wirkung hinaus sollen sie unverrückbare Haltungen befestigen und die Betrachter auf Zustimmung einschwören.

Die Mittel zum Erreichen der beiden Ziele sind austauschbar. Man könnte ganz ähnliche Bilder wie die zurzeit über die Schirme flimmernden nehmen und darunter schreiben: "Nationalfeiertag in X". In China selbst waren sie noch vor einer Generation, unter Mao, mehr als bloß alljährliche Loyalitätsbezeugungen. Die Fahnen, Paraden, Symbole und flammenden Reden waren der Alltag. In vielen Ländern sind sie es heute immer noch, in anderen immer mehr.

Verlangt wird Treue zu einer Nation. Die Nation aber wird nicht als widersprüchliches Gebilde mit Vor- und Nachteilen dargestellt, sie wird vielmehr reduziert zu einem emotional aufgeladenen, perfekten Desiderat - zu einer Marke.

"Nation-Branding" ist der Prozess, der zur Identifikation mit dem Staat führen und ihn nach außen in ein vorteilhaftes Licht stellen soll.

"Branding" ist ursprünglich nichts anderes als das Setzen von Brandzeichen, als unauslöschliches Festhalten an einem Besitz (etwa von Herdentieren). Und auch wenn kaum jemand bewusst diese Bedeutung im Sinn haben mag, so schwingt sie doch nach, wenn "Brand-Loyalty" gefordert und eingeübt wird: Du sollst keine andere Marke neben mir verehren.

Das mag bei Seifen und Hamburgern vergleichsweise harmlos klingen, bei Nationen steht die Einübung auf unbedingte Treue in einem viel problematischeren Licht.

Totalitäre Staaten stellen Extrembeispiele dar, an ihnen kann mit besonderer Deutlichkeit herausgearbeitet werden, wohin erfolgreiche Brandmarken-Strategien führen. Vier solcher Beispiele aus dem 20. Jahrhundert, bei denen mit "eiserner Faust" gearbeitet wurde, stellt eine Neuerscheinung vor: "Iron Fists. Branding the 20th-Century Totalitarian State".

Das Buch führt anhand von Nationalsozialismus, italienischem Faschismus, Sowjetkommunismus und Maoismus einen Prozess vor, den Walter Benjamin für den Faschismus definiert hat, der aber hier ideologieübergreifend gesehen wird: die "Ästhetisierung der Politik".

Der Autor Steven Heller kommt von der visuellen Gestaltung und hat als Praktiker (unter anderem bei der New York Times) und Buchautor mehr als drei Jahrzehnte den Einfluss von Grafik und Form auf Inhalt behandelt. Er hat ein gutes Auge dafür, welche vergleichbaren formalen Gesetze sich hinter dem Rücken der scheinbar unversöhnlichen politischen Gegensätze herauskristallisiert haben. Einige der destruktivsten Regime des vergangenen Jahrhunderts, stellt er fest, waren extrem kreativ in ihren Markenstrategien und darin, ihre Botschaften zu verkaufen.

Das klingt nach modernem Marketing. Tatsächlich wird zu fragen sein, was die verordnete Liebe zu Führer und Vaterland mit der suggerierten Treue zu Produkten zu tun hat und wie weit die von Heller analysierten politischen Strategien noch heute Relevanz haben. Bleiben wir aber zunächst beim historischen Material.

Ganz allgemein, so Heller, gehören zum erfolgreichen Branding ein Logo, ein zentraler Charakter und ein einprägsames Narrativ.

Am ausführlichsten dokumentiert das Buch die nationalsozialistische Ideologie - mehr als ein Drittel ist ihr gewidmet. Sie hat auch, folgt man Heller, die Prinzipien der politischen Beeinflussung am erfolgreichsten und konsequentesten umgesetzt. Das beginnt mit dem Markenzeichen der Bewegung, dem Hakenkreuz, einem der ältesten Symbole menschlicher Kulturen. Es stand abwechselnd für die Sonne, für Fruchtbarkeit, für menschliches und himmlisches Leben, für Brahma, Vischnu und Shiva. Es wurde in Troja gefunden, in Schottland, auf korinthischen Münzen, auf Teppichen amerikanischer Ureinwohner und auf den Uniformen einer amerikanischen Infanteriedivision im Ersten Weltkrieg. "Hitler hat sein Möglichstes getan", so Heller, "die Geschichte (des Hakenkreuzes) umzuschreiben, damit es zum Nazi-Mythos passte."

Wie das einmal vereinnahmte Logo standardisiert und nach genauen Vorgaben eingesetzt wurde - von Flugzeugformationen über Kreuzworträtsel bis zu genauen Angaben für Schneider und Plakatmaler -, zeigt der bildlastige Band in frappierender Deutlichkeit.

Der zentrale Charakter für die Einstimmung eines ganzen Volkes ergab sich von selbst. Die Kunst der Propaganda-Produzenten bestand aber darin, aus der Physiognomie Hitlers, der im Rückblick und für viele schon damals vor allem an Charlie Chaplins Tramp erinnerte, eine klar definierte Persona zu machen, die je nach Bedarf heroisch (Rede über den Feind) oder herzlich (Beisammensein mit Kindern) zu interpretieren war. Hier waren keine verträumten Narren am Werk, sondern genau kalkulierende Techniker der Bildkontrolle.

Dasselbe galt für die Narrative, wie man sie heute nennen würde, für die wesentlichen Geschichten, die die Bevölkerung auf die Ziele der Machthaber einstimmen sollten. Deren archaischer Charakter zeigt sich in der klassischen Zweiteilung: im Hass auf einen äußeren Feind und im erhofften Paradies. Gemeinsam ergaben sie ein stimmiges Bild, das man sich von der Welt machen konnte, ohne dass man durch anderslautende Informationen gestört wurde - dass diese verboten waren (Feindsender!), konnte umso leichter akzeptiert werden, als man ja bereits gelernt hatte, dass vom Feind nichts als Niedertracht und Lüge zu erwarten war.

Wie wirkungsvoll diese Architektur der totalitären Identifikation nach innen funktionierte und nach außen kaum störte, zeigte sich übrigens drei Jahre nach der Machtergreifung Hitlers, als das Deutsche Reich als Gastgeber ohne größere Gegenmaßnahmen brillieren konnte: bei den Olympischen Spielen 1936.

Von ihnen blieb vor allem Olympia, der Film Leni Riefenstahls, in Erinnerung. Er trug zu dem enormen Arsenal an Bildern bei, die den Triumph des Nazismus belegen sollten. Die totalitären Regime der Dreißigerjahre nahmen vorweg, was Kulturwissenschafter später theoretisch beschäftigen sollte: den "iconic turn" , die Anerkennung der überragenden Bedeutung alles Visuellen.

Im italienischen Faschismus ging das noch weiter bzw. hatte tiefere Wurzeln. Eine der treibenden Kräfte von Mussolinis Bewegung war der Futurismus, der die Großmachtsfantasien des Duce zugleich vorwegnahm und beflügelte. Malerei, Grafik und Architektur nahmen sich innerhalb gewisser Grenzen experimentelle Freiheiten, wie sie nördlich des Brenners unbekannt waren. Das wirkte sich wenn auch nicht auf die Substanz, so doch auf die formalen Aspekte von Branding all'italiana aus.

Deutschland und Italien bildeten eine Achse, und deren Todfeind war der Bolschewismus. Aber die Gesten aller "eisernen Fäuste" glichen einander. Sie teilten einen Geschmack für das Heroische und Monumentale. Sie unterschieden sich zwar in ihren Haltungen gegenüber avantgardistischen Strömungen - in der frühen Sowjetunion und in Italien waren sie weitaus willkommener als in Deutschland und später in Maos China. Doch die experimentellen Anfänge mündeten schließlich ebenso in Führerkult und Terror.

Was Heller für die "Markenstrategien" der Regimes zeigt, widerspiegelt Beobachtungen über ihre politischen und wirtschaftlichen Pläne. Ungeachtet der Tatsache, dass sich die faschistischen Länder und die Sowjetunion waffenstarrend gegenüberstanden, fanden sie sehr wohl Gemeinsamkeiten. Damit ist nicht der rein taktische Nichtangriffspakt zwischen Hitler und Stalin gemeint, vielmehr die vergleichbaren Methoden, mit wirtschaftlichen Krisen fertig zu werden.

Wahlverwandtschaften

In seinem Buch "Entfernte Verwandtschaft" hat der Kulturhistoriker Wolfgang Schivelbusch auf diese Affinitäten hingewiesen. Zwar vergleicht er vor allem die europäischen Auswege aus der Weltwirtschaftskrise ab 1929 mit dem New Deal der USA. Aber für unsere Zwecke ist auch das bewundernde Interesse aufschlussreich, das Mussolini für die Industrialisierung Sowjetrusslands gezeigt hat. 1933 schlossen Rom und Moskau einen Freundschaftspakt, bekannte italienische Autoren reisten in Stalins Paradies der Werktätigen und berichteten keineswegs nur negativ: Es fehle den Bolschewisten, so hieß es in der Critica fascista, nur die Einsicht, dass nicht die Diktatur der Klasse, sondern die der Nation das wahre Ziel sei.

In den Methoden, wie man die Stimmung des Volkes am besten sondieren und für politische Zwecke einsetzen konnte, standen sich totalitäre und demokratische Lager keineswegs unversöhnlich gegenüber, im Gegenteil. Die deutsche Sozialwissenschafterin Elisabeth Noelle etwa (später als Noelle-Neumann, Gründerin des Instituts für Demoskopie, bekannt) begeisterte sich als Stipendiatin in den USA 1937/38 für die dortige empirische Meinungsforschung und setzte sie nach besten Kräften für die Ziele des deutschen Propagandaministeriums ein. Als Meister der Disziplin würdigte sie den gebürtigen Wiener Paul Lazarsfeld, der in Amerika arbeitete.

Für Lazarsfeld waren die Techniken der Meinungsbefragung und -beeinflussung gleichermaßen für Wahlen wie für den Verkauf von Konsumprodukten geeignet. Und auch wenn der Ausdruck damals noch nicht geläufig war, so wurde Brand-Loyalty zu Politikern wie zu Poliermitteln bereits ähnlich konstruiert. Es gab beiderseits schon Logos und Identifikationsfiguren, politische Slogans ("I like Ike" ) konkurrenzierten bald mit kommerziellen Jingles, Produkte wie Parteien wurden mit Emotionen aufgeladen.

Steven Heller warnt zwar vor Vergleichen zwischen unternehmerischen und politischen, vor allem diktatorischen Marketing-Strategien. Kampagnen für Tiefkühlkost, selbst wenn sie den Markt monopolisieren, hätten aber nicht die furchterregende Wirkung eines faschistischen oder kommunistischen Diktats.

Doch wie dafür gesorgt wird, dass Staatsbürger eine Doktrin akzeptieren bzw. ein Produkt konsumieren: Das sei vergleichbar; und messbar, mit Methoden, wie sie Lazarsfeld oder Noelle mitentwickelt haben. Entsprechend lässt sich Iron Fists mit den Augen eines heutigen Marktstrategen durchblättern, der sich da von der Ikonografie der Lenin-Plakate russischer Konstruktivisten inspirieren lässt, dort von den NS-Handbüchern zur korrekten Anwendung von Typografie (siehe Corporate Identity) oder von den kühnen Layouts italienischer Gestalter. Seine Aufmerksamkeit gilt dabei nicht dem verbrecherischen Kalkül der politischen Auftraggeber als vielmehr der offensichtlichen Wirkung der Arbeiten.

Von ihr lässt sich lernen. Anhänger und Feinde der Regimes seien ja, so Heller, schon seinerzeit von den Techniken des politischen Branding fasziniert gewesen und verführt worden. Auf der Ebene der Politik und der Theologie, wird Aldous Huxley zitiert, "ist Schönheit bestens mit Unsinn und Tyrannei vereinbar".

Seife gleich Politiker

Welche Wirkungen hat aber politisches Branding unter nichttotalitären Bedingungen? Ähnelt es im freien Wettbewerb noch stärker dem kommerziellen Marketing, gilt die Lazarsfeld'sche Gleichung, dass, verkürzt gesagt, Seife gleich Politiker ist?

Der britische Politikberater und Branding-Experte Simon Anholt ist skeptisch. Der Vergleich sei falsch. Denn ein Erzeuger hat über sein Produkt wie über dessen Marketing Kontrolle. Er kann die beiden aufeinander abstimmen und dafür sorgen, dass die Botschaft stimmt. Eine politische Bewegung aber werde von Menschen getragen, deren Aktionen nicht kontrollierbar sind. Unter diesen Umständen ist die Errichtung einer "Markenidentität" weitaus schwieriger. (Man denke aber an die skurrilen Debatten darüber, ob politische Kandidaten genug Vaterlandsliebe beweisen, indem sie immer brav eine Flagge am Revers tragen - dem Rezensenten von Iron Fists in der International Herald Tribune fiel dies als Kontinuität aus dunklen politischen Zeiten ein.)

Was Iron Fists zeigt, ist aus Anholts Sicht zeitgebunden und nicht wiederholbar. Die Bürger waren damals dem Ansturm der Bilder und Botschaften hilflos ausgeliefert, die Kombination von Branding und Politik war verheerend. Heute sei das Publikum gegen diese Art des Ansturms besser geschützt, es habe sich an Bilder gewöhnt und misstraue ihnen viel mehr als früher. Dazu komme das Internet: Für jede offizielle Botschaft gebe es hunderte Gegenbotschaften. Sogar innerhalb autoritär gelenkter Staaten tun sich Löcher auf, wird die Kontrolle durch Regierungen schwächer.

Daher meint Anholt, der als Experte für die Positionierung von Staaten gefragt ist und zu dem Thema eine Zeitschrift herausgibt, dass Branding heute nur funktioniert, wenn es mit der Politik übereinstimmt. "Die USA, die über mehr Ressourcen und Expertise zum Thema verfügen als jedes andere Land, sind dennoch nicht imstande, ihr Image erfolgreich zu manipulieren. Sie ruinieren es durch eine unpopuläre Politik." (Bei Amazon wird übrigens Iron Fists mit einer der schärfsten Kritiken an der Bush-Regierung, Jane Mayers The Dark Side, im Doppelpack angeboten.)

Eines der wenigen erfolgreichen Beispiele von Nation-Branding, die Anholt einfallen, ist Neuseeland: "weil sich das Land überzeugend darstellen konnte; und weil man nicht viel über Neuseeland weiß."

Ist das olympische Spektakel also eine Fehlinvestition für den Gastgeber? Die Antwort hängt davon ab, wo man die Latte ansetzt. Taktisch hat China mit seiner fast vollständigen Gästeliste gesiegt, und seine wirtschaftliche Macht wird auch einige der Ferngebliebenen umstimmen. Von einer erfolgreichen "Marke" aber kann nicht die Rede sein. Sie könnte wohl gestärkt werden, aber nur nach innen und nur um den Preis des Totalitarismus.

Gegen ihn helfen subversive Zeichen, die Waffen der Unbewaffneten. Den olympischen Ringen haben die Reporter ohne Grenzen ein Logo entgegengestellt, das nur einige Male gezeigt, aber unübersehbar oft vervielfältigt wurde: fünf Handschellen in entsprechender Formation. (Michael Freund/DER STANDARD/Album, 9./10.8.2008)