Viele sind von der Sozialdemokratie enttäuscht, Menschen, die seit vielen Jahren Mitglieder der SPÖ sind und ihre Partei nicht wiedererkennen, Menschen, die der Einladung gefolgt sind, "ein Stück des Weges" mit dieser Partei zu gehen, Menschen, die 2006 mit ihrer Stimme der Schüssel-ÖVP und ihrem blau/orangen Koalitionspartner eine Absage erteilt haben.

Die SPÖ, eine offene Partei, hat sich durch ihre Personalauswahl zusehends verengt, ohne aber an Geschlossenheit zu gewinnen. Gerade in einer Zeit, in der eine an sozialdemokratischen Grundsätzen orientierte Politik notwendiger denn je wäre, ist vielfach Taktik und Machterhalt an die Stelle von neuen Orientierungen und der Entwicklung von Alternativen zu Problemen unserer Zeit getreten.

Diese Enttäuschung hat viele Gründe. Sie entspringt aus übersteigerten Versprechungen, aus der Überheblichkeit, mit der Kritik an der Regierungspolitik abgetan wurde, insbesondere aber aus der Missachtung demokratischer Spielregeln und in der - sowohl im Inhalt wie in der Form - würdelosen Anbiederung führender Funktionäre an die "Kronen Zeitung".

Die Sozialdemokratie verdankte ihre Strahlkraft dem unbeugsamen Bekenntnis zur Demokratie, zur Internationalität, zur Solidarität mit den Schwächeren, zu den Grundsätzen der Aufklärung, zum Engagement für Frieden und Freiheit. Ihre besten RepräsentantInnen standen für Offenheit und Redlichkeit in der intellektuellen Auseinandersetzung, für die Absage an billigen Populismus.

Wachsende Ungleichheit, krisenhafte Entwicklungen der Weltwirtschaft, Probleme der massenhaften Migration, die Dominanz neoliberaler Politik und wachsende Bedrohungen der Umwelt fordern geradezu die Auseinandersetzung über solche Alternativen. Ansätze für solche Antworten wurden erarbeitet - von SozialdemokratInnen und auch von nicht der Partei angehörenden ExpertInnen. Ihre Konzepte fanden aber kaum ein Echo in der konkreten Politik.

Dieser Mangel ist eine der Hauptursachen für die Dominanz konservativer und neoliberaler Kräfte auf europäischer Ebene. Der wachsenden Skepsis von BürgerInnen ist jedoch nicht mit einem Aufspringen auf den populistischen Zug, mit einer Abkehr von Europa zu begegnen. Der Sehnsucht nach einem sozialeren und bürgernahen Europa kann nicht durch Abschottung, durch die Errichtung neuer Mauern, durch Rückzug in die Enge nationaler Beschränkung begegnet werden.

Im Bewusstsein, dass die Sozialdemokratie unersetzlich ist, richten wir den Appell zur Besinnung auf die Wurzeln und Grundsätze der Sozialdemokratie, zu einem Aufbruch in Richtung Offenheit und demokratische Auseinandersetzung an die politisch Verantwortlichen in der SPÖ. Wir, das sind SozialdemokratInnen, denen der Verlust ihrer politischen Heimat droht. Wir, das sind aber auch jene, die nicht dieser Partei angehören, aber ihre Hoffnung in die Sozialdemokratie gesetzt haben.

Der bevorstehende Bundesparteitag der SPÖ wird ein erster Prüfstein sein, wie weit die politisch Verantwortlichen dieser Partei bereit sind, offener Kritik zu begegnen und diese Bedenken zu berücksichtigen.

Gertraud Auer Borea d'Olmo, Hans Benke, Herbert Berger, Ingrid Gazzari, Wilhelmine Goldmann, Christine de Grancy, Walter Guggenberger, Elisabeth Hagen, Udo Jesionek, Edith Kitzmantel, Maria Mesner, Wolfgang Petritsch, Erika Pluhar, Oliver Rathkolb, Arnold Schmid, Ulrich Stacher, Andreas Staribacher, Erwin Steinhauer, Rolf Steininger, Herbert Wodak.

Elisabeth Orth hat mit dem Zusatz unterschrieben: "Als Nicht-parteimitglied und Wechselwählerin, in Sorge um eine große Partei". (DER STANDARD, Printausgabe, 9.8.2008)