Auch bei der legendären Familie Flöz aus Berlin ging es um Reisende. Das "Hotel Paradiso" verließen aber nur wenige lebend.

Foto: La Strada

Graz - Als vor der Grazer Oper in luftigen Höhen eine Sopranistin (Anne Rodier) bis zu den Knien in einem Mini-Saturn steckte, zwischen überdimensionierten Parabolspiegeln, die von Kränen bewegt dem All zunickten, herumgewirbelt wurde und dabei mit sternenklarer Stimme sang, ging am Samstag der letzte Mond über dem diesjährigen La-Strada-Himmel auf. Das elfte Mal bespielte das internationale Festival für Figuren- und Straßentheater von Diana Brus und Werner Schrempf die Stadt. Zigtausende kamen zu 20 Gruppen aus 13 Nationen. Dabei wurden bis zum letzten der neun Festivaltage nicht nur die kostenlosen Produktionen überlaufen: Als die französische Compagnie OFF, mit der Insallation Paraboles, die den Gesang Rodiers mit Planetenklängen der Nasa veredelte, zum Finale lud, zählte man auch 8712 Kaufkarten - eine Auslastung von 96 Prozent. Wer glaubt, dass diese Masse zu Kasperltheater oder Folklore-Artisten pilgert, war in den letzten Jahren nie Anfang August in der Grazer Innenstadt.

Gerade heuer nahm man sich mit dem Leitmotiv Migration, Heimatsuche und dem Fremden nicht gerade einen Schenkelklopfer vor. Gelacht wurde trotzdem viel, wenn Gruppen wie die niederländischen Performer De Jongens zwischen ausrangierten Haushaltsmaschinen Kritik am Kapitalismus und dem Irakkrieg übten oder sich die Kofferträger Kamchàtka aus Spanien und das Théâtre Fragile (aus Frankreich, Österreich, den USA und Deutschland) mit Integration und Flucht auseinandersetzten.

Der Bildhauer Samson Ogiamien aus Nigeria schickte derweil unter dem Titel Am Sand Skulpturen durch die Stadt auf Heimatsuche (Am Sand war eine von sieben Koproduktionen des Festivals). Hier vermischten sich die Ebenen von Kunst und Realität: Ogiamien, Spross eines Königshauses aus Benin, wo Bronzeskulpturen Tradition haben, ist selbst Asylwerber und weiß, dass sein Asylverfahren kein Happy End für ihn bereithält.

Aus einer jüngeren Tradition, der des Cirque Nouveau, stammt Adrian Schvarzsteins Circus Klezmer, der ein jüdisches Dorf Hochzeit feiern lässt, irgendwo zwischen Krakau und Odessa - so genau wissen das auch die spanischen Akrobaten nicht, die eine Fantasiesprache mit russischen, polnischen, deutschen und italienischen Wortfetzen sprechen. Ihre Musik ist mitreißend, und für ihr Spiel, etwa den ungelenken Strip einer sich und eine Kartoffel schälenden Hausfrau, ist das Wort "Witz" ein schaler Hilfsausdruck.

Wer wirklich fremde Sprachen liebt, war beim Timeproject von Mathias Loibner, der mit vier europäischen Bands einen vibrierenden Schmelztigel im Augarten verwirklichte, richtig. Dazu seien die Gruppen aus allen vier Himmelsrichtungen vorgestellt: Die Franzosen, Familha Artús, kommen aus der Gascogne und singen eine Form der galloromanischen Sprache Okzitanisch. Die Herren sehen aus wie eine Speed-Metal-Band, die für ein Mittelalterfest engagiert wurde, und klingen phänomenal.

Aus dem Norden reisten Snö an: Schweden, die Electronic mit der traditionellen Tanzmusik der Samen kombinieren. Den Osten vertraten Mitsoura aus Ungarn, die getragen von Sängerin Mitsou Gypsy- und Bollywood-Rhythmen mischen. Aus dem Süden ließen die Griechen von Palyrria unheimliche Electrobeats zu Laute und Lyra erklingen. Als sich diese markanten Sounds am Ende vereinten, war das vielleicht das anschaulichste Statement des Festivals: Heimat ist überall dort, wo dein Beat schlägt. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD/Printausgabe, 11.08.2008)