Auch die derStandard.at-RedakteurInnen fühlen sich teilweise in privat angehauchter Arbeitsatmosphäre wohl

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Der Nachwuchs trägt auch zur Verschönerung bei und bastelt für den Schreibtisch

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Auch Power-Figuren können vom Tisch aus motivieren

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"Geheimnisvoller Büroalltag" Teil 3: Der Wiener Sozial- und Medienanthropologe Peter H. Karall und die Kultur- und Sozialanthropologin Bettina Brixaim wissen, was es mit Fotos, Stofftieren und Pflanzen am Arbeitsplatz auf sich hat.

derStandard.at: Wie viel Privates ist am Arbeitsplatz erlaubt?

Brixa: Die persönliche Individualisierung des Arbeitsplatzes ist ein Recht, das nicht jedem zugestanden wird. Man denke an standardisierte Großraumbüros im Gegensatz zu individuell gestalteten Chefbüros oder an Kleidungsvorschriften oder Berufskleidung.

Der Bestsellerautor Martin Suter, der satirische Erforscher der Höhen und Tiefen des Bürodschungels, beschreibt zum Beispiel in einer seiner Miniaturen die Freuden und Leiden eines vor der Beförderung stehenden Direktors, der nun plötzlich bei der Büroeinrichtung nicht mehr nur zwischen den drei vorgesehen Linien für "Mittlere Kader I" wählen kann, sondern ein Budget zugesprochen bekommt, innerhalb dessen er ganz freie Hand hat.

derStandard.at: Welche Rolle spielen persönliche Gegenstände am Arbeitsplatz ?

Brixa: Eine persönliche Gestaltung des Arbeitsplatzes ist auch eine Form von Kommunikation - denn der Arbeitsplatz ist in den seltensten Fällen nur für einen selbst zugänglich. Man zeigt her, was man von sich herzeigen möchte. Oft bleiben Dinge, die innerhalb der Bürowelt Bedeutung hatten, wie Notizen, die einem jemand geschrieben hat, Erfolgscharts aus längst vergangenen Zeiten, Glückwunschkarten oder Geschenke, mitunter auch längst verblichene Osterhasen oder Nikoläuse im Bereich des eigenen Schreibtisches stehen. Wer die Bedeutung des einen oder anderen Gegenstandes kennt, ist ein Eingeweihter.

Sich "einzurichten" - mit Pflanzen und Fotos von Kindern oder Partner kann ein Versuch sein, eine emotionale Brücke zwischen Privatleben und Beruf zu bauen. Oft ist aber die Interpretation, die ins Auge springt, nicht die einzige.

derStandard.at: Was heißt das zum Beispiel im Zusammenhang mit Familienfotos?

Brixa: Ein Foto der Familie kann auch noch anderes bedeuten. Zum Beispiel am Eichenschreibtisch kann es vielleicht auch ein Insignum der Macht sein - nicht nur Herrscher/in über die Firma, sondern auch Clanvorsitzende/r - oder an so manchem Schalter könnte es auch folgender Hinweis sein: auch ich habe Frau und Kinder, die sogar ganz liebe Zeichnungen für mich malen.

derStandard.at: Kann zuviel Privates am Schreibtisch auch negative Konsequenzen haben?

Brixa: Durch solche mit Geschichte und Bedeutung aufgeladenen Gegenstände wird eine standardisierte Umgebung zu einer "Kulturlandschaft". Man bietet dem Betrachter einen Spielraum für Interpretationen. Auch hier lauern natürlich Gefahren: Das großformatige Foto aus dem Urlaub über dem Computer kann bisweilen auch ankommen wie: Ich wäre gerne noch dort und zähle nur die Tage bis ich wieder hin kann und bis ich vor allem endlich wieder von hier weg kann.

derStandard.at: Wie privat dürfen Gespräche in der Arbeit sein?

Brixa: Der Punkt ist, dass "privat" und „beruflich", wie es im Alltag verwendet wird, eine sehr oberflächliche Unterscheidung ist. Man kann über seine Wochenenderlebnisse erzählen, ohne etwas wirklich Persönliches von sich herzugeben, anderseits kommen in einem Konkurrenzkampf zwischen zwei Mitarbeitern oder auch in der Organisation eines Projektes häufig persönliche und - im weiteren Sinne - kulturelle Faktoren zu Tage.

Grundsätzlich ist aber zu beachten, dass nicht jede privat anmutende Äußerung auch dem Zweck dient, persönliche Nähe herzustellen. Wer über Grundkenntnisse in Sprachpragmatik verfügt, wird erkennen, dass der kommunikative Inhalt der Aussage "Deine Tochter heißt Florentina? Lustig, den Namen habe ich neulich gehört. - Ach ja, Carla, du weißt, die Frau von Vorstandsdirektor Bauer, hat am Wochenende beim Golfen erzählt, dass sie überlegt, das Baby, das im Sommer kommt, so zu nennen!" nicht etwa ist: Der Name deiner Tochter sagt mir etwas!, sondern vielmehr: Ich gehe mit dem Vorstand golfen, bin mit seiner Frau per Du und weiß intime Details wie zum Beispiel, dass sie schwanger ist

derStandard.at: Der Umgang mit Kollegen und Vorgesetzten gehört zum sozialen Leben dazu. Es gibt aber den Trend von zuhause aus zu arbeiten.

Karall: Es gibt bereits jetzt und wird in Zukunft wahrscheinlich noch weit mehr Berufe geben, die nicht mehr an einen physischen Arbeitsplatz in den Räumlichkeiten eines Unternehmens, das heißt eines klassischen Arbeitgebers, gebunden sind. Die Entwicklung der Telekommunikation und der Computertechnik haben diese Tendenz bei zeitgleichen unternehmerischen Bestrebungen zur Dezentralisierung und "Globalisierung" vieler Produktionsbereiche sicher noch beschleunigt.

Hinzu kommt eine steigende Zahl neuer selbstständiger Berufe. Hier ist der Firmensitz häufig die eigene Wohnung, das eigene Haus. Das Büro befindet sich ebenfalls dort, und der Rest wird Unterwegs am Laptop erledigt.

derStandard.at: Welche Probleme kann diese Flexibilität mit sich bringen?

Karall: Die positiven Versprechungen, die im Zusammenhang mit den Effekten einer solchen Flexibilisierung des physischen Arbeitsplatzes immer wieder zu hören sind, erinnern ein wenig an die Technikutopien der 50er und 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. Das Versprechen lautete damals, dass mit der Entwicklung der Technik auch eine Entlastung des Menschen einhergehen würde. Es wurden oft wahrlich utopische Prophezeiungen besonders hinsichtlich einer Reduktion der Arbeitszeit und den dadurch bedingten Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung der Menschen in der Freizeit angestellt.

Viele technische Entwicklungen haben die Vorstellungen von damals sogar übertroffen. Nur führten die neuen Möglichkeiten nicht unbedingt in allen Bereichen der Arbeitswelt zu Erleichterungen. Tatsächlich klagen immer mehr Menschen über zunehmenden Stress, der in hohem Maße durch eben diese neuen Technologien mitgetragen wird, Stichwort ständige Erreichbarkeit am Mobiltelefon, kurze Reaktionszeiten durch Blackberrys, E-Mail-Flut durch gesunkene Kommunikationsschwellen, die Notwendigkeit der Bildung und Pflege virtueller Netzwerke und so weiter. Heute können wir sagen, dass diese Entwicklungen primär eine Beschleunigung aller Lebensbereiche gebracht haben. Der Zeitgewinn hat sich im wirtschaftlichen Wettbewerb längst wieder aufgehoben.

derStandard.at: Was bedeutet die ständige Erreichbarkeit und Verfügbarkeit für jene, die keinen fixen Platz zum Arbeiten haben?

Karall: Das betrifft Menschen, die von zuhause aus, beziehungsweise ständig nomadisierend arbeiten, umso mehr, als sie von der Nutzung dieser Technologien noch stärker abhängig sind. Die scheinbare Freiheit und Unabhängigkeit bringt auch den gegenteiligen Effekt mit sich. Wenn sich die Arbeitsstätte im eigenen Wohnraum befindet, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, den Kopf niemals freizubekommen.

Viele Menschen beginnen unter Abgrenzungsproblemen zu leiden. Sie gehen vom Büroraum abends ins Wohnzimmer und nehmen ihre Arbeit mit. Sie befinden sich im Grunde 24 Stunden am Tag in der Arbeit. Die Arbeitsstätte dehnt sich via Mobiltelefon und Laptop zudem noch über diesen räumlich begrenzten Bereich aus. Die Gefahr, dass dann das private Rückzugsgebiet unmerklich abhanden kommt, ist sehr groß.

Was die Netzwerke - sowohl die technischen, als auch die sozialen - betrifft, so müssen sie ständig aktiv "gewartet" werden. Nichts passiert von alleine - denken Sie zum Beispiel auch an die erwähnte Kommunikation in Rauchpausen zurück.

derStandard.at: Was ist aus Ihrer Sicht das Positive am Arbeiten von zuhause aus?

Karall: Unterschiedliche Formen der Selbstständigkeit können attraktiv sein, nicht zuletzt deshalb, weil sie eine Möglichkeit sind, aus klassischen hierarchischen Betriebsstrukturen auszubrechen. Auch sich seine Unternehmensziele selber zu setzen und zu gestalten hat eine andere Qualität, als Konzernvorgaben zu folgen.

Friebe und Lobo haben in ihrem Buch „Wir nennen es Arbeit" über eine digitale Bohème jenseits fester Anstellungsverhältnisse geschrieben. Für eine jüngere Generation, die mit dem Internet sozialisiert worden ist, bietet diese digitale Welt sicher ganz generell eine Möglichkeit, berufliche Alternativen auszuloten. Es darf allerdings nicht verschwiegen werden, dass die ökonomische Situation in vielen Nicht-Mainstream-Berufen prekär ist. Dabei kommen oft gerade aus diesem Umfeld bedeutende Impulse für Innovationen. (Marietta Türk, derStandard.at, 7.9.2008)