"Grüß Gott. Molterer." Ein kräftiger Händedruck. Die alte Dame scheint verwirrt. "Wer is des?", flüstert sie ihrem Sitznachbarn zu. "Na, der Vizekanzler!" Andächtiges Kopfnicken.
Wilhelm Molterer hakte am ersten Wientag seiner "Mitten im Leben" Tour am 12. August gleich einmal die wichtigsten Themen des ÖVP-Wahlkampfes ab: Kinder, Sicherheit, Pflege. Am Nachmittag gab es Spielen im Kindergarten und das Diskutieren der Sicherheitspolitik auf der Polizeistation Karlsplatz. Am Vormittag einen Besuch im Alten- und Pflegeheim der Barmherzigen Schwestern, in der Millergasse im sechsten Wiener Bezirk. 60 Menschen leben hier. Viele bemerken den Besuch des Finanzministers nicht, einige scheinen erfreut. Ob die Freude unmittelbar mit der Person Molterer zusammenhängt oder eher mit der unvermuteten Aufregung, die plötzlich herrscht und die Bewohner aus ihrem Trott reißt, bleibt im Dunklen.
"Eine Gratwanderung"
"Dürfens ja net schummeln", ruft Molterer einer Dame zu, die gerade mit einer Pflegerin eine Runde Mensch-ärger-dich-nicht spielt. Sie kichert verlegen. Molterer setzt sich zu fast jedem Bewohner, den er erwischt. Ein hübsches blondes Mädchen von der Jungen ÖVP - alle in Einheitstracht: lange weiße Bluse, dunkelblaue Jeans - macht mit einer Polaroidkamera Fotos von den Begegnungen und schenkt diese dann den Bewohnern: "Zur Erinnerung". Wie vertretbar ist es, alte Menschen derart in die Wahlkampfmaschinerie einzubinden? "Ja, das ist eine Gratwanderung", sagt Karin Prainiess-Kaster, Behindertensprecherin der ÖVP Wien im Gespräch mit derStandard.at. "Aber ich habe Molterer beobachtet und in meinen Augen ist er mit ehrlichem Interesse auf die Leute zugegangen."
Zimmer von Kardinal Franz König
Zum Abschluss seines Rundganges kommt der ÖVP-Spitzenkandidat noch zu einem besonderen "Zuckerl", wie es die Leiterin des Heims nennt: das Zimmer des verstorbenen Kardinal Franz König. Der ehemalige Erzbischof von Wien hat seine letzten Tage im Heim in der Millergasse verbracht. Der Raum, in dem er gewohnt hat, wurde von den Besitzern nicht verändert, ab und zu wird er für besondere Gäste geöffnet. Der Besuch ist vorüber, Molterer eilt weiter. Zunächst ins Bundeskanzleramt. Dort liegt das Kondolenzbuch des jüngst verstorbenen ehemaligen Bundeskanzlers Fred Sinowatz auf. Danach geht es ohne Umwege weiter in den dritten Bezirk. Ein KIWI (Kinder in Wien) - Kindergarten wird besichtigt.
Wieder Kind
Nach der Ruhe des Pflegeheims fällt der Wirbel im Kindergarten besonders auf. Die Konversation mit den Kindern konzentriert sich zwar zum Großteil auf: "Wie heißt denn du?" und "Ah, das ist aber ein schöner Name!" Dafür toben sich Molterer, Staatssekretärin Christine Marek und Katharina Cortolezis-Schlager, Bildungssprecherin der ÖVP Wien, auf der weitläufigen Dachterrasse so richtig aus. Da hockt sich der Vizekanzler vor ein Wasserbecken und spielt mit einem kleinen Plastik-Frosch. Gemeinsam mit einem blondgelockten Jungen backt er einen Sandkuchen, den er anschließend zerstören lässt. Marek versucht sich - an ihre Jugend erinnert - als Tempelhüpferin. Cortolezis-Schlager rutscht eine lange Rutsche herunter, und das obwohl sie "Angst hat".
"Die Tante Erna"
Johannes Hahn kommt auf einen Kurzbesuch vorbei und schaut Molterer bei dessen Kinderspielen über die Schulter. Die Wahlkämpfer erteilen einander Respektsbekundungen und der Vizekanzler sinniert über seine Zeit im Kindergarten: "Die Tante Erna. Ich kann mich noch so gut erinnern an die Tante Erna. Die hab ich geliebt." Einmal hätte er sich so gerne als Indianer verkleidet, die Mutter hatte zu Hause jedoch kein Indianerkostüm. "Ich bin dann als Marienkäfer oder so was gegangen".
Nach einer kurzen Pause geht es mit der U-Bahn weiter zur Polizeistation am Karlsplatz. Sein Sakko lässig über die Schulter geworfen, erledigt Molterer in der U-Bahn ein paar Telefonate. Die meisten Passanten schauen verstohlen zu ihm hinüber. Marek macht sich ob seines ernsten Gesichtsausdrucks Sorgen um sein Image und ruft laut: "Willi, lächeln!". "Du bist so streng", gibt er zurück.
"Intensivste Dienststelle Wiens"
Nach dem unterhaltsamen Zwischenprogramm im Kindergarten folgt nun ein ernsterer Besuch. Die Polizeistation am Karlsplatz gilt als "eine der intensivsten Dienststellen Wiens", wie Molterer betont. Ob sich das Sicherheitspolizeigesetz denn bewährt hat, ob die Sicherheitszone am Karlsplatz respektiert wird und ob während der Europameisterschaft viel los war, will er wissen. Die Beamten sind sichtlich froh darüber, über ihre Arbeit reden zu können. Denn "wenn die Umstände schwierig sind: Uns hilft zwar niemand, aber zum Schluss heißt es wieder: die Polizei ist schuld", beklagt sich einer der Polizisten über das - in seinen Augen - ungerechte Los.
"Ist die Drogenklientel am Karlsplatz eine spezifisch österreichische?", fragt Molterer. "Oder ist da auch eine internationale Komponente dabei?" Die Polizisten, alle sehr eifrig um ihren Gast bemüht, überlegen kurz. Zu neunzig Prozent sind es Österreicher, sagt dann einer. "Das Problem ist vor allem das optische Erscheinungsbild. Täglich werden 200.000 bis 300.000 Passanten mit dem Klientel konfrontiert." Molterer bekundet sein Verständnis für die Probleme der Polizisten: "Es bleibt bei euch viel hängen, was nicht bei euch hängen bleiben dürfte". Dann wirft noch einen Blick auf die Bilder der Überwachungskameras, schüttelt jedem die Hand und eilt weiter. Das nächste Interview wartet. (Katrin Burgstaller, Saskia Jungnikl, derStandard.at, 13.8.2008)