Auftauen im "St. Moritz Café". Langsam wirkt das züngelnde Kaminfeuer, auch wenn das etwas verrückt ist. Das Feuerchen, das im "St. Moritz" munter vor sich hinprasselt, kommt vom Flatscreen. Dass es trotzdem heimelig wirkt, liegt vielleicht am assoziativen Gehalt - und weniger an den tatsächlichen Außentemperaturen, die jetzt um die Mittagszeit so gegen 45 Grad geklettert sind - Plusgrade wohlgemerkt.
Denn das "St. Moritz" ist kein normales Après-Ski-Lokal. Ebenso wenig wie das Bedürfnis nach "Wärme" im Moment eindeutig zuordenbar ist. Warm, kalt, kalt-warm? Wer weiß das noch, nach einigen Stunden in Dubais Emirates Mall. Wohltemperierte 22 Grad und fünfzig Prozent Luftfeuchtigkeit - kurz, die klimatechnische Standardeinstellung - dürfte es im Inneren des Konsumlabyrinths haben. Doch je nachdem, durch welche Glasscheibe man starrt, weicht das Klima wenige Meter nebenan beträchtlich ab. Lichtes Flirren unter blassblauem Himmel verweist darauf, dass die Shopping Mall ja in der Wüste liegt, wo die Julisonne mit enormer Intensität herunterhämmert. Blickt man hingegen in eine andere Richtung, weiter ins Innere der Mall, ist alles radikal anders.
Denn dann tauchen an der Sheikh Zayed Road verschneite Hänge auf und Kinder, die mit Rodel und Pudelmütze und Djellabah durch den Kunstschnee stapfen oder auf einem Zauberteppich vor der naturgetreu hingepinselten Kulisse der Schweizer Alpen hinaufschweben, und, weniger schwebend, auf sperrig wirkenden Brettern hinunterfahren. Bleibt man bis zum Abend, dann fängt es im Ski Dome Dubai pünktlich um sechs zu schneien an - ein Rieseln, das seinen sentimentalen Beitrag zu den hier täglich produzierten dreißig Tonnen Neuschnee liefert.
Doch um "Ski Dubai", die winterliche Käseglocke in der Wüste, die auf 6000 Tonnen Kunstschnee, den ein französischer Oberskilehrer täglich kontrolliert geht es an dieser Stelle ja nicht bloß. Wichtig ist das Minus vor dem Einser. Denn genauso viel wird den Dubaier Skifahrern zugemutet. Gerade kalt genug für den Erhalt des Schnees, aber doch so warm, dass man den Leihanorak vorsichtig bis zum Rollkragenansatz zu öffnen wagt - vielleicht etwas unsicher darüber, was einem nun eigentlich lieber ist: der Kunstschnee, die "St. Moritz"-Brennholz-DVD oder die gnadenlos echte Sonnenkraft.
Und da wir gerade beim Durchmessen von Temperaturzonen sind, soll auch gleich das pseudovormoderne Gegenstück solcher Klimaverschiebungen exemplarisch beschrieben werden: die Ferienarchitektur des Bab Al Shams Desert Resort & Spa, eines Tourismuskomplexes, der, ein Stück außerhalb der Stadt gelegen, den Temperatur-Reality-Check auf noch andere Weise ad absurdum führt: nämlich indem das traditionelle arabische System der kostenlos kühlenden Windtürme hier die Kulisse mitbestimmen darf, auch wenn in den Suiten die Aircondition schnurrt und der herrlich neben Sanddünen drapierte Pool jetzt im Sommer eher einem Dampfbad gleicht.
Der Winter im Sommer und die Kühle hinter Glas sind längst zu einem Leitmotiv des Reisens geworden. Die Erde hat bekanntlich eine Reihe von Klimazonen, von denen die unfruchtbarste und sich am schnellsten ausdehnende die Aircondition-Klimazone ist. Mühelos kann man heute rund um die Welt fliegen - ohne je das indifferente Klima der Airporthallen und Flugzeug-Interieurs zu verlassen. Wer dieser Künstlichkeit schließlich doch den Rücken kehrt, dem klimatisierten Hotelzimmer im Taxi entflieht und dann den Sprung hinein in die feuchtheiße Schwüle einer, sagen wir, südostasiatischen Metropole wagt, der lernt vielleicht auch die Rückseite dieser Klimazone kennen, und zwar unmittelbar, in aller Brutalität.
Und also in Form jener Hitze, die diese AirCon-Kühle an den Gebläseschächten der Downtown-Paläste entlässt und deren heißer Atem Bananenblätter und Palmwedel bewegt. Die Entkoppelung von Klima und künstlicher Umgebung vor dem Hintergrund eines veränderten Reiseverhaltens - das beschäftigt nicht nur besorgte Wintertourismusstrategen, die sich für apere Pisten kein bisschen erwärmen können, denn längst wird AirCon als internationaler Standard betrachtet. Darauf verwiesen im letzten Sommer ja auch die Klagen der zahlungsstarken und mit künstlicher Kühle verwöhnten Middle-East-Klientel, die hierzulande Nachholbedarf attestiert - und wohl auch Resteuropa in klimatechnischer Hinsicht in die Wüste schickt.
Ein heißes Eisen in der Tat. Auch die touristische Komponente greift vor diesem Szenario reichlich kurz. Klar: Ohne die moderate Erleichterungen durch Klimaanlagen hätten etwa die Industrienationen Südostasiens ihr Wachstumstempo nicht durchhalten können - auch diese Erfahrung wird in Zukunft die Nachfragesituation touristischer Wachstumsmärkte prägen. Doch vor allem sind sie bereits heute für ein Desaster großer Städte verantwortlich, das die Bewohner im Großraum Tokio "Hitzeinsel" nennen, womit ein weiteres Aufheizen der Städte gemeint ist.
Die "Air-Conditioned Nightmare" des Henry Miller - tatsächlich wurde Air-Con vor über hundert Jahren in den USA erfunden und startete erst während der Fifties so richtig durch - mit bekannt horrenden Auswirkungen für die Umwelt. Sie frisst in den USA ein Sechstel der elektrischen Energie - verursacht bei durchschnittlichen amerikanischen Wohnhäusern einen CO2-Ausstoß von rund 1500 Kilo pro Jahr. Weltweit gilt: Rund die Hälfte des Energieaufkommens von Gebäuden geht auf das AirCon-Konto, beim Pkw schlägt die Klimaanlage mit gut einem Zehntel Spritmehrverbrauch zu Buche - umweltfreundlich ist der kalte Schweiß keineswegs. Cool bleiben - aber wie? Noch eine Erfindung aus Nordamerika ist in diesem Zusammenhang relevant - das in Toronto installierte Kühlsystem des Deep Lake Water Cooling, bei dem dem nahen Ontariosee aus ausreichender Tiefe 4 °C kaltes Wasser entnommen und in eine Art "Nahkältenetz" eingespeist, anschließend in den See zurückgeführt wird. Ein ökologischer Fortschritt.
Nicht unähnlich jenem, den vor einiger Zeit die britische Queen unternahm. Sie ließ zur umweltfreundlicheren Kühlung der Queen's Gallery eine geothermische Anlage in die subpalästliche Kreideschicht bohren - eine ungewöhnliche Randnotiz in Sachen Cool Britannia immerhin. (Robert Haidinger/DER STANDARD/Rondo/14.8.2008)