Yvonne war vom See zurückgekommen, und ihr Kollege hatte einstweilen ihr Forschungsprojekt über den Riesenwuchs von Sauropoden an sich gerissen. Sie saß seitdem öfter allein im "Holland", schüttelte ab und zu den Kopf, murmelte vor sich hin und analysierte erstmals in ihrem Leben den Kapitalismus. "Glaubst du, er wird damit jetzt glücklich?"
Leslie versuchte ehrlich zu sein: "Natürlich kann man sein eigenes Glück größer machen, indem man dem anderen etwas wegnimmt. Die Leute glauben immer, es gäbe später eine ausgleichende Gerechtigkeit. Aber das ist nur Wunschdenken. Für Gerechtigkeit sind immer nur wir selbst zuständig." Leslie wusste, dass Unfairsein gar nicht in Yvonnes Repertoire vorkam. Sie bat die Kellnerin um noch mehr Papierservietten und zeichnete lauter gelbrote Drachen mit schnaubenden Wölkchen neben den Nasenlöchern. Leslie war sich sicher, dass Ehrgeiz die Menschen zu unberechenbaren Tieren machte, wenn sie ihn auf Kosten anderer auslebten.
"Ich hoffe, du hast ihm dein Projekt sofort wieder abgenommen?", schnaubte Zora, die langes Reden für unangemessen hielt, wenn gehandelt werden musste. "Das musst du tun. Man darf doch diesen Superehrgeizigen nicht helfen. Denn ihr einziger Wunsch ist es, andere in den Schatten zu stellen. Und dadurch richten sie großen Schaden an. Außerdem gewöhnen sich Leute mit einer Neigung zum Neid leicht an den Gedanken, dass ihnen mehr zusteht als anderen."
Yvonne wünschte sich in solchen Momenten, sie wäre wie Zora. Leslie half nach und holte Yvonnes Handy aus ihrer Tasche. "Ruf ihn jetzt an! Wir sind deine Zeuginnen."
Später, als sie mit Sekt auf Yvonnes Mut und Eindeutigkeit anstießen, fing sie an, aus sich herauszugehen: "Mir ist Gerechtigkeit schon lieber als die kleinen Glücksmomente Einzelner. Man muss sich immer in die Nähe jener begeben, für die das wichtig ist, und die Gesellschaft jener meiden, die keine Begabung haben, Glück zu verbreiten." (Adelheid Wölfl/Der Standard/rondo/15/08/2008)