SPÖ-Vize Michael Häupl über Alfred Gusenbauers angeblich freiwilligen Abgang: "Ich bin weder Königsmacher noch Königsmörder. Aber eine Partei muss handeln, wenn die Meinungsumfragen nicht gut ausschauen. Die ÖVP handelt nicht und zahlt dafür die Rechnung."

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STANDARD: Welche Zeitung lesen Sie morgens zuerst?

Häupl: Keine bestimmte. In meinem Auto liegt morgens ein ganzes Packl Zeitungen. Bis ich von Ottakring im Rathaus bin, habe ich das Wesentliche gelesen.

STANDARD: Welchen Teil zuerst?

Häupl: Es wird Sie kaum überraschen: die Politik.

STANDARD: Doch. Wir hätten auf die Sportseiten getippt.

Häupl: Das kommt schon auch vor. An einem schönen Montagmorgen wie dem vergangenen habe ich mir als Erstes die Berichte vom Sonntagsspiel, als meine Austria in letzter Minute gegen Salzburg gewonnen hat, gegönnt. Da habe ich kurz violette Augen gekriegt und mich dann erst der Politik zugewandt.

STANDARD: Ärgert Sie, dass die Austria oft runtergeschrieben wird?

Häupl: Mein Gott, ich halt's da mit dem alten Torberg: Wer Austria-Anhänger ist, muss leidensfähig sein. Die Austria ist ja selber eine sehr launische Dame - so wie ich ein launischer Mann bin.

STANDARD: Bei der SPÖ ist es, aus Ihrer Sicht zum Glück, umgekehrt: Die wird vom Boulevard gerade hinaufgeschrieben, sie wird belobhudelt.

Häupl: Ich kann keine Lobhudeleien entdecken.

STANDARD: Die "Krone" hat doch unlängst erst wieder eine Faymann-Hymne abgedruckt.

Häupl: Das war keine Hymne, sondern die Wahrheit.

STANDARD: Kann man ohne "Kronen Zeitung" regieren?

Häupl: Selbstverständlich. Sogar mein Vorgänger Helmut Zilk, dem man auch ein gutes Verhältnis zum Krone-Herausgeber nachsagt, hat das bewiesen - als er das von der Krone nicht goutierte Hrdlicka-Denkmal durchsetzte.

STANDARD: Ein Gegenbeispiel war der Leseturm im Museumsquartier, den die "Krone" verhinderte.

Häupl: Das hab ich selber entschieden. Wenn wir uns auf den Turm versteift hätten, gäb's das ganze Museumsquartier nicht.

STANDARD: Also doch Rücksicht auf die "Krone".

Häupl: Ich nehme auch auf den Standard Rücksicht.

STANDARD: Wir sind aber nie gegen moderne Architektur.

Häupl: Das stimmt. Aber im Ernst: Ich halte diese ganze Diskussion für kindisch. Gut, die beiden Leserbriefautoren Faymann und Gusenbauer sind auch selbst schuld mit dieser unprofessionellen Geschichte. Aber die ÖVP zieht den Leserbrief der SPÖ an die Krone zum Exzess hoch, während sie kein Problem hat, mit der FPÖ, die den EU-Austritt fordert, zu koalieren. Und Ihr Medium spielt da mit.

STANDARD: Von Mitspielen kann nicht die Rede sein. Finden Sie es nicht problematisch, dass Faymann den ÖBB eine Kampagne in Boulevardmedien aufträgt, in der er selbst abgefeiert wird?

Häupl: ÖVP-Minister Josef Pröll hat für das Gleiche dreimal so viel Geld ausgegeben - doch das ist nicht Gegenstand der Kritik. Zweierlei Maßstäbe akzeptiere ich nicht.

STANDARD: Im Fall Pröll gibt sein Ministerium das Geld für Werbung aus. Faymann hat einem ausgelagerten Unternehmen eine Kampagne aufgetragen.

Häupl: Na und? Wenn etwa der Wiener Wirtschaftsförderungsfonds für Betriebsansiedlungen wirbt, soll ruhig der politisch Verantwortliche vorkommen - auch ich.

STANDARD: Bei Faymanns Wahl wurde die Geschichte verbreitet, Gusenbauer sei freiwillig gegangen. Wird auf Parteitagen noch mehr gelogen als auf Begräbnissen?

Häupl: Nein. Diese Geschichte stimmt ja auch. Gusenbauer selbst hat den Wechsel vorgeschlagen.

STANDARD: Nachdem ihn Landesparteichefs, Gewerkschafter und andere unter Druck gesetzt haben ...

Häupl: Woher wollen Sie das wissen? Ich bin weder Königsmacher noch Königsmörder. Aber eine Partei muss handeln, wenn die Meinungsumfragen nicht gut ausschauen. Die ÖVP handelt nicht und zahlt dafür die Rechnung.

STANDARD: Woran ist Gusenbauer letztlich gescheitert?

Häupl: An der ÖVP, die nahezu alles, was der Sozialdemokratie wichtig ist, verhindert hat.

STANDARD: Warum dann den Parteichef austauschen? Was soll Faymann besser machen?

Häupl: Faymann ist ein Kommunikationstalent, nicht nur gegenüber den Medien. Das tut der Partei gut.

STANDARD: Die FPÖ droht zu alter Stärke anzuwachsen, gerade in Wien. Welche dunklen Ecken gibt es im goldenen Wienerherz, dass Anti-Ausländer-Parolen immer greifen?

Häupl: Mit der Ratio wird das nicht zu erklären sein. Eine ältere Dame im Gemeindebau hat mir neulich erzählt, ihr Nachbar sei gebildet, ruhig und habe brave Kinder - nur wolle sie einfach nicht neben einem Farbigen wohnen.

STANDARD: Die ÖVP sagt, Sie hätten Ausländerghettos geschaffen.

Häupl: Die ÖVP ist schon strachiger als der Strache. Es gibt keine Ausländerghettos. Außerdem hat der Begriff Ghetto eine Geschichte, gerade in Wien sollte man damit vorsichtig sein. Früher hat man über das jüdische Viertel im zweiten Bezirk g'matschgert, jetzt matschgert man über die Brunnengasse in Ottakring. Ich fürchte sehr, dass das derselbe Typ von Leuten ist.

STANDARD: Machen Sie es sich nicht zu leicht, wenn Sie Probleme in diesen Vierteln einfach negieren?

Häupl: Das tue ich nicht, und das habe ich auch nie behauptet. Ein reales Problem ist das unterschiedliche Kulturverständnis, das lässt sich nicht leugnen. Am Brunnenmarkt bin ich unlängst einem Mann begegnet, der seine Tochter nicht in die Schule lassen will. Unter heftigem Beifall der anderen türkischen Männer habe ich ihm erklärt: "Seit Maria Theresia gibt es in Österreich die Schulpflicht, seit Franz Joseph ist der Islam anerkannte Religion. Und wenn Sie Ihre Tochter nicht in die Schule lassen, dann reiß ich Ihnen die Ohrwascheln aus." Das mag zwar autoritär klingen, aber in der Welt dieses Mannes wird man nur so verstanden.

STANDARD: Migrantinnen würde helfen, wenn ihnen das Fremdenrecht erlauben würde zu arbeiten, damit sie nicht mehr Anhängsel ihrer Männer sind.

Häupl: Ich werde mich dafür einsetzen, dass die Fremdengesetze geändert werden: Wer legal hier lebt, soll auch legal arbeiten dürfen. Dann würden weniger Frauen in Abhängigkeit geraten. Eine Kriminalprävention wäre das auch.

STANDARD: In der Regierung hat die SPÖ daran aber nichts geändert. Sind Sie mit dieser Forderung in Ihrer eigenen Partei in der Minderheit?

Häupl: Kann sein. Hier stehe ich und kann nicht anders.

STANDARD: Der Erzbischof von Canterbury würde die Scharia in England sogar zulassen.

Häupl: Das mag sein, aber für mich ist nicht akzeptierbar, dass religiöse Gesetze über dem Staat stehen - auch nicht jener Teil der Scharia, der in Widerspruch zu unserem Strafrecht steht. Wir haben von den Zuwanderern Verpflichtungen einzufordern wie eben die Schulpflicht.

STANDARD: Sie sind für Schulpflicht ab fünf. Warum kein verpflichtendes letztes Kindergartenjahr?

Häupl: Mit dem verpflichtenden Kindergartenjahr wäre ich genauso zufrieden, nur hat das die ÖVP bis zum Zeitpunkt meiner Forderung abgelehnt. Mir ist wichtig, alle Kinder zu erfassen, nicht nur die Migranten. Alle modernen Wissenschafter sagen, dass gerade in dieser Phase des Lernen-Lernens die Förderung der kommunikativen Fähigkeiten, natürlich auch der Sprache, wichtig ist. Wir brauchen ein ganz neues Regelschulkonzept. Das bedeutet auch die gemeinsame Schule der 10- bis 14-Jährigen, ein kompaktes Programm von der AHS-Oberstufe bis zur Lehrlingsausbildung, und das bei größtmöglicher Durchlässigkeit.

STANDARD: Sollen Kinder länger in die Schule gehen?

Häupl: Ich bin für eine Verlängerung der Schulpflicht um ein Jahr nach vorne, nicht für eine Verkürzung hinten. Das Gegenargument, man müsse Kinder Kinder sein lassen, ist unsinnig. Das können nur alte Männer erzählen, die sich an die eigene Schulzeit erinnern. Heute ist die Pädagogik viel weiter, es gibt schon Elemente der Schule des 21.Jahrhunderts, nur werden sie nicht konsequent durchgezogen. Zum Teil schicken wir Kinder noch in der Schule des 19. Jahrhunderts.


STANDARD: Waren Sie in Ihrer Schulzeit ein Streber?

Häupl: Nein, sondern das diametrale Gegenteil.

STANDARD: Zurück zu den Freuden des Lebens. Gusenbauer wurde unter anderem seine zelebrierte Vorliebe für exquisite Weine vorgeworfen. Wie muss man als Politiker was trinken, damit es gut ankommt?

Häupl: Diese Geschichte ist nun wirklich nebensächlich. Wenn's laft, dann laft's - manchmal halt auch in die falsche Richtung. Ich bin jedenfalls der oberste Promoter des Wiener Weins, das ist Teil meiner Job-Description. Ein Wiener Bürgermeister sollte sich ohne G'spritztn in der Hand gar nicht ablichten lassen. (Von Gerald John und Petra Stuiber/DER STANDARD, Printausgabe, 14.8.2008)