Florian Breitenecker (37)

Foto: Andy Urban

Der Welt-Aids-Kongress 2008 in Mexiko-Stadt ist zu Ende. Florian Breitenecker war einer von 25.000 Delegierten und sprach mit Karin Pollack über dringliche Probleme, Therapie und die verschiedenen Gesichter der globalen Epidemie.

Standard: Was waren die Hauptthemen des Kongresses?

Breitenecker: Die Welt-Aids-Konferenz beleuchtet die HIV-Epidemie sehr breit. Neben medizinischen Themen ging es um politische Fragen, die den Zugang zur Versorgung in den verschiedenen Regionen der Welt betreffen. Zwar bekommen immer mehr PatientInnen in der dritten Welt antiretrovirale Therapie, auf einen/eine Patienten/Patientin mit Therapie kommen allerdings zwei bis drei Neuansteckungen pro Jahr. Prävention ist deshalb enorm wichtig.

Standard: Gibt es neue Konzepte?

Breitenecker: Neben Kondomen hat sich die Beschneidung von Männern als effiziente Schutzmaßnahme herausgestellt. Die Infektionen konnten damit um 50 Prozent reduziert werden. Vielversprechend sind außerdem auch neue Mikrobizide - sie töten HIV-Viren in der Vagina.

Standard: Was ist mit der Impfung?

Breitenecker: Da gab es einen herben Rückschlag. Es wird noch sehr lange keine Impfung gegen HIV/ Aids geben.

Standard: Wie groß ist die Kluft zwischen Entwicklungs- und Industrieländern?

Breitenecker: Riesig. In der dritten Welt haben immer noch 70 Prozent keinen Zugang zu Therapie, in der westlichen Welt ist HIV/Aids dank antiretroviraler Therapie eine chronische Erkrankung. Möglicherweise haben HIV-PatientInnen sogar eine normale Lebenserwartung. Ein heißdiskutiertes Thema war hier das Schweizer Statement.

Standard: Was ist das Schweizer Statement?

Breitenecker: Schweizer HIV-ÄrztInnen postulieren darin, dass PatientInnen, die in einer HIV-Therapie sind und bei denen im Zuge deren keine Viruslast nachgewiesen werden kann, als nicht infektiös zu betrachten sind. Das hat heftige Kontroversen entfacht. Denn bislang machen sich HIV-Positive bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr ja strafbar. Das Schweizer Statement erlaubt unter bestimmten Voraussetzungen aber ungeschützten Geschlechtsverkehr, weil das Übertragungsrisiko als minimal erachtet wird. SkeptikerInnen warnen aber davor.

Standard: Gibt es eigentlich neue Arzneien?

Breitenecker: Viele, vor allem solche mit neuen Wirkmechanismen für multiresistente PatientInnen.

Standard: Wie steht es in Afrika?

Breitenecker: Vor allem südlich der Sahara müssen Medikamente zugänglich gemacht werden. Ärzte ohne Grenzen hat aber klargemacht, dass sehr viele Faktoren eine Rolle spielen. Es geht auch um Gesundheitspersonal. Teilweise kommen auf 100.000 PatientInnen nur zwei ÄrztInnen. Viele ÄrztInnen und Krankenschwestern verlassen das Land. Da muss man ansetzen.

Standard: Wie steht es um die Neuinfektionen bei uns?

Breitenecker: Wir verzeichnen einen Anstieg bei MSM (Men having Sex with men). Diskriminierung erschwert den Zugang zu Prävention und Therapie, deshalb sind es vulnerable Bevölkerungsgruppen, die die Epidemie am stärksten triggern: Drogensüchtige, Sexarbeiterinnen. Sie sprachen in Mexiko im Plenum.

Standard: 2010 findet die Welt-Aids-Konferenz in Wien statt.

Breitenecker: Interessant ist, wie sich die österreichische Politik, die die globale HIV-Krise bisher nicht einmal ignoriert hat, darauf einstellen wird. (Karin Pollack, DER STANDARD, Print, 14.8.2008)