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Das Leid für die Vertriebenen ist noch lange nicht zu Ende: Flüchtlinge aus Südossetien in einem Auffanglager bei der russischen Stadt Alagir.

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Unterwegs mit dem Gewehr: Auch in der südossetischen Stadt Zchinwali vertrauen die Menschen nicht darauf, dass die Waffen jetzt wirklich schweigen.

Auch wenn der Krieg nach den Worten der Kreml-Führung zu Ende ist,
rollten am Mittwoch wieder die Panzer im Kaukasus. Die russische Armee habe eine
Blockade um Tiflis errichtet, sagte der georgische Staatschef Michail Saakaschwili.

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"Sanakojew? Hat jemand von Sanakojew gehört?", fragt die Dame im Ministerium in die Runde. Nein, hat niemand. Dmitri Sanakojew ist verschwunden, seit Tagen schon, seit die Georgier auf Zchinwali feuerten und der russischen Armee den Vorwand für den Einmarsch in Georgien lieferten.

Sanakojews Dorf in Südossetien soll zu einem Internierungslager umfunktioniert worden sein, so behauptet die georgische Seite. Kurta heißt es, und seit einem Jahr beherbergte es die "Vorläufige südossetische Verwaltungseinheit", die Gegenregierung zum Regime des Moskau-treuen Separatistenchefs Eduard Kokoity in Zchinwali ein paar Kilometer weiter. Der 39-jährige Sanakojew ist der Chef dieser Dorfregierung. Selbst ein ehemaliger ossetischer Separatist, ließ er sich, von Tiflis gestützt, von den Georgiern in der Provinz und angeblich auch einem Teil der Osseten Ende 2006 zum "Präsidenten" wählen. Zwei versuchte Mordanschläge auf ihn in den vergangenen Monaten, so wird im Rückblick nun klar, kündigten den Krieg an.

Nun ist von Dmitri Sanakojew keine Spur mehr und auch nicht mehr von jenen Georgiern, die in Dörfern rund um Zchinwali lebten. Augenzeugen berichteten seit Dienstag von Brandschatzungen in den georgischen Dörfern. Weil die Angaben über die Zahl der Bevölkerung in Südossetien je nach politischer Seite aber enorm schwanken, zwischen 10.000 bis 35.000 Georgiern und 50.000 bis 82.000 Osseten in der Provinz, ist auch am sechsten Tag des Kriegs unklar, wie viele der Bewohner tatsächlich interniert oder gar umgebracht wurden.

Panzer rollen wieder

Denn von Krieg lässt sich an diesem Mittwoch in Georgien sicher noch sprechen: Während sich die Außenminister der EU in Brüssel am frühen Nachmittag gerade mit Mühe zur Entsendung von Beobachtern durchgerungen haben, die eine Waffenruhe zwischen Russen und Georgien überwachen könnten, setzen sich mit einem Mal russische Panzer um Gori in Bewegung. Zwei Kontrollpunkte errichtete die russische Armee vor der georgischen Stadt und kontrollierte damit faktisch die Hauptroute nach Tiflis, der georgischen Hauptstadt. Tiflis stehe praktisch unter einer Wirtschaftsblockade der Russen, erklärte Michail Saakaschwili, der Präsident, in einer seiner Pressekonferenzen, die er nun jeden Tag mehrmals den Medienvertretern gibt. Die Schlacht um die Meinung der internationalen Gemeinschaft ist für den georgischen Staatschef noch nicht geschlagen.

Saakaschwili, seit mehr als vier Jahren an der Spitze der Kaukasusrepublik und wegen seines forschen Westkurses eine Hassfigur des Kreml, ruft nach einer Luftbrücke für Tiflis, als ob die georgische Hauptstadt komplett eingeschlossen wäre wie Westberlin im Kalten Krieg. Doch für Saakaschwili ist es die Stunde der historischen Vergleiche: Die Berliner Luftbrücke von 1948 führt er an und im gleichen Atemzug die Einnahme der Tschechoslowakei durch die deutsche Wehrmacht. Um die Entschlusskraft des Westens gehe es nun. Saakaschwili stichelt und treibt und macht erstmals kein Hehl mehr aus seiner Enttäuschung über die USA und die EU: "Ihre Antwort war nicht angemessen", sagt er, "für mich sieht sie aus wie Appeasement" - jene Politik der Beschwichtigung, auf die sich Frankreich und Großbritannien Ende der 30er-Jahre gegen Hitler verließen. (Markus Bernath/DER STANDARD, Printausgabe, 14.8.2008)