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Von Medwedew (re.) war am ersten Kriegstag nichts zu hören. Putin (li.) gab die Linie vor.

Foto: AP/Misha Japaridze

Auch nach genau 100 Tagen im Amt als russisches Staatsoberhaupt ist es Dmitri Medwedew nicht gelungen, aus dem Schatten seines Vorgängers zu treten. Laut einer Umfrage des Moskauer Levada-Zentrums halten es nur neun Prozent für möglich, dass Medwedew tatsächlich über die reale Macht verfügt. Bei Medwedews Amtsantritt im Mai waren es immerhin noch 17 Prozent.

Dabei hatte es für den 42-jährigen St. Petersburger Juristen gar nicht schlecht angefangen. Mit öffentlich wirksamen Reformvorschlägen preschte Medwedew zu Beginn seiner Amtszeit voran und setzte eigene Akzente. Medwedew verschrieb sich dem Kampf gegen die Korruption und ließ mit dem Bekenntnis, dass offizielle Posten und Ämter käuflich sind, aufhorchen. Er ging mit den Beamten hart ins Gericht, warf ihnen mangelnde Computerkenntnisse vor und forderte eine Modernisierung der politischen Kader. Medwedew stilisierte sich zum Robin Hood der kleinen und mittleren Betriebe und versprach, ihre Rechte zu stärken.

Ende Juli wendete sich jedoch das Blatt für Medwedew. Mit seiner heftigen Attacke gegen den Bergbaukonzern Mechel stellte Wladimir Putin klar, wer der Herr im Hause Russland ist. Seine Worte von "einem Doktor, dem man dem Mechel-Chef schicken müsse" vernichteten innerhalb weniger Tage mehr als acht Milliarden Dollar - die Hälfte der Marktkapitalisierung von Mechel. Medwedews Beschwichtigungsversuche blieben hingegen unbeachtet.

Auch im Konflikt in Südossetien machte Medwedew alles andere als ein gutes Bild. Als auf Zchinwali die ersten Bomben fielen, weilte der Präsident auf Urlaub an der Wolga. Während Putin, der sich gerade bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking befand, bereits mit markigen Sprüchen zur Stelle war und "Gegenmaßnahmen gegen die georgische Aggression" ankündigte, war von Medwedew, der laut Verfassung Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist, fast einen ganzen Tag lang nichts zu hören.

Laut einer Studie der Elitenforscherin Olga Kryschtanowskaja hat Medwedew so schnell gar nicht die Chance, sich von Putin zu emanzipieren. Der frühere Präsident habe nämlich die meisten Schaltstellen der Macht mit seinen Leuten besetzt. Ein Auflehnen Medwedews gegen seinen Ziehvater wäre laut Kryschtanowskaja "Selbstmord". Sie rechnet eher damit, dass Putin nach einer Frist von vier Jahren oder auch schon früher ein Comeback als Präsident feiern wird.

Laut Politologin Tatjana Stanowaja gelang es Medwedew wenigstens zum Ende der Krise wieder etwas Boden zu gewinnen: "Die Verhandlungen mit Sarkozy sind ein persönlicher Erfolg Medwedews - nicht nur außenpolitisch, sondern auch innenpolitisch". Auffallend ist, dass der sonst eher zurückhaltende Medwedew zunehmend die scharfe Rhetorik Putins nachahmt. "Die Verrückten unterscheiden sich eben von den normalen Menschen, dass sie sich, wenn sie Blut gerochen haben, nicht aufhalten lassen", sagte Medwedew über Saakaschwili. In so einem Fall müsse man auf chirurgische Methoden zurückgreifen. (Verena Diethelm aus Moskau/DER STANDARD, Printausgabe, 14.8.2008)