Mieze Medusa: "In der HipHop-Szene gibt es mehr involvierte Frauen als bei den Philharmonikern. Meine Szene kann dafür nicht angemacht werden, woanders ist es nicht besser."

Foto: Florian Schneider 2008

"Widerstände müssen überwunden werden", so Mieze Medusa.

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Mieze Medusa über Lady-Bitch-Ray: "Die Sexkarte zu spielen ist sicher eine Schiene. Die Frage ist, ob das langfristig funktioniert."

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Mieze Medusa alias Doris Mitterbacher ist HipHop-Lyrikerin, veranstaltet regelmäßig im rhiz in Wien Poetryslams (Vortragswettbewerbe mit selbst verfassten Texten – bewertet werden sowohl Performance als auch der Text selbst) und slamt natürlich auch selber. Im September erscheint Mieze Medusas erster Roman "Freischnorcheln" im Wiener Milena Verlag. Beate Hausbichler sprach für dieStandard.at mit ihr über die Romanheldin Nora Klein, über EinzelkämpferInnen auf dem Arbeitsmarkt und feministische Sprachpolitik.

dieStandard.at: Ist Dein Buch "Freischnorscheln" ein Prekariatsroman?

Mieze Medusa: Ich hab zumindest mir dieser Betitelung kein Problem. Es ist mir aber schon um dieses Thema gegangen und ich wollte Aussagen über Arbeitskontexte machen.
Der Roman ist aber sicher keine Antiprekariatskampfschrift – Nora will ja nicht unbedingt eine fixe Anstellung, sie will eigentlich nur einen Kontext und etwas Geld.

dieStandard.at: Die Roman-Heldin ist ja ziemlich einsam.

Mieze Medusa: Ja auf jeden Fall ist sie sehr einsam. Sie hat zwar Familie und Freunde, die Eltern sind aber als Anlaufstelle für Geld- oder Liebesprobleme nicht da und die Freunde auch nicht wirklich. Das erhöht natürlich den Druck. Sie leiht sich schon Geld aus – obwohl es sie große Überwindung kostet. Insgesamt funktioniert das soziale Gefüge schon, aber letztlich ist sie eine Einzelkämpferin. Ich wollte zeigen, dass die strukturellen Veränderungen in der Arbeitswelt so ein EinzelkämpferInnentum mit sich bringen. Und das ist auch das Problem: Es gibt so ein Konzept von Tüchtigkeit, auf das man zurückgeworfen ist. Es muss alles aus einem selbst kommen, man muss alles selber machen und es muss alles in den eigenen Fähigkeiten liegen. Es wird kein Gedanke daran verschwendet, dass es Institutionen gibt, die für eineN arbeiten, und sei dies auch nur der Freundeskreis.

dieStandard: Was bedeutet dieses EinzelkämpferInnentum für das politische Bewusstsein der Protagonistin? Nora macht sich ja herzlich wenig Gedanken und führt ganz selbstverständlich – soweit es finanziell möglich ist – ein selbstbestimmtes Leben.

Mieze Medusa: Das halte ich auch für den momentanen Status quo. Es ist so, dass es – vor allem für jüngere Frauen – stark das Gefühl gibt, dass wir das ohnehin alles nicht mehr brauchen, wir haben ja unsere Chancen. Das stimmt aber nicht, was sich die Figur jedoch nicht klarmacht. Sie erkennt zwar den Standpunkt anderer, was sicher auch der erste Schritt ist, Strukturen zu begreifen, das war es dann aber auch schon.

dieStandard.at: Sie hat also keinerlei feministisches Bewusstsein?

Mieze Medusa: Nein. Das ist aber auch das Problem, an dem sie scheitert. Wenn man den Blick für Strukturen nicht hat, so wie Nora, dann ist jedes scheitern etwas Persönliches. Die Frage nach den Knackpunkten, warum scheitert sie, diese Fragen stellt sie sich gar nicht. Sie weiß natürlich, dass sie ständig unterbezahlt ist, was ja letztlich einiges bei ihr auslöst. Sie macht sich aber nicht klar, dass sie als Frau weniger Geld bekommt oder gewisse Jobs erst gar nicht bekommt, oder dass es eine gläserne Decke gibt. Ich wollte schon einen lustigen Roman schreiben, der einfach unterhält. Ich wollt aber auch, dass einem/einer manchmal das Lachen im Halse stecken bleibt und merkt, dass da schon noch mehr dahinter ist.
Ob sich dann die LeserInnen bestimmte Fragen stellen, ist natürlich ihnen überlassen – ich bin ja eine Freundin der freien Rezeption.

dieStandard.at: Nora lebt einen extremen Individualismus.

Mieze Medusa: Ja. Ich mag diesen Individualismus sehr gern an dieser Figur, aber gleichzeitig ist er auch ihr Fehler. Sie ist schon in diese Falle getappt "ich muss nur tüchtig sein, und dann wird sich schon alles richten", was natürlich nicht stimmt.
Es richtet sich für andere einfach mehr. Das hat was mit Mann/Frau zu tun, mit Familienhintergrund oder mit sozialem Gefüge. Die Figur ist sicher etwas blauäugig gezeichnet, sie übersieht da schon einiges.

dieStandard.at: Sie lässt sich aber auch durch nichts abhalten. Nora zögert nicht, einen Job anzunehmen, den sie nicht hundertprozentig beherrscht.

Mieze Medusa: Frauen stapeln da sonst eher tief. Wenn man Lebensläufe von Freundinnen liest, muss man sie oft daran erinnern, was sie eigentlich noch alles gemacht haben, aber gar nicht drinsteht. Frauen sagen schnell "ich kann das doch gar nicht mehr, das ist schon so lange her". Es ist ganz schwierig, das loszuwerden.
Bei Männern steht dann wirklich teilweise dreißig Prozent mehr in ihren Lebensläufen und sie machen sich keine Gedanken, ob sie das auch alles wirklich können.
Nora kommt bei KundInnen zwar gut an, sie ist aber nicht unbedingt massentauglich. Entweder hast du einen Job oder nicht, vom Zweite sein hat man letztendlich gar nichts. Das hat mich auch an diese Bandwettbewerbe erinnert, die immer mehr Lokale machen, weil sie dann auch gleich mehr Presse haben.

dieStandard.at: Der Protestsongcontest, den Du 2007 gewonnen hast, ist ja auch nichts anderes.

Mieze Medusa: Ja, es ist der einzige Bandwettbewerb, den ich gewinnen konnte! Der Protestsongcontest ist da eher wie ein Slam, es geht nicht unbedingt um die Masse, sondern es gibt auch die Möglichkeit, dass ein Freak gewinnt. Bei den anderen Wettbewerben geht es eher um Handwerkliches. Das dahinter stehende Konzept ist beim Protestsongcontest mindestens genauso wichtig wie dann die Performance.

dieStandard.at: Mit Musikerinnen sieht es immer eher lau aus beim Protestsongcontest.

Mieze Medusa: Naja – es ist zum Teil nicht ganz aufgefallen, weil sie vielleicht nicht Frontfrauen waren, sondern ein Instrument spielten, aber es waren bisher schon wenige. Nur – es sind andererseits auch nicht weniger als sonst.

dieStandard.at: Und wie sieht es in der HipHop-Szene aus?

Mieze Medusa: Es sind im HipHop nicht speziell weniger Frauen, es ist überall dürftig. Was ich im HipHop eigentlich angenehm finde ist, dass die Kampflinien so klar sind. Da ist es schon einfacher, sich dagegen zu wehren, und du hast auch einige im Publikum hinter dir. Die HipHop-Szene in Österreich ist generell eine wenig liebevolle Szene, was seltsam ist, weil es in Wahrheit um nichts geht. Da sind Verkaufszahlen im Spiel, die eigentlich zum Heulen sind. Auch jene, die massentauglich jedem Klischee nacheifern, verkaufen letztlich auch nicht mehr als ich.
Ich hab die Szene auch ein Stück weit verlassen. Dadurch, dass ich Poetryslams mache und in Literaturkreisen wahrgenommen werde, habe ich auch ein Publikum, das genügend Geld hat, sich auch ein Produkt zu kaufen, was bei HipHop-Veranstaltungen definitiv nicht der Fall ist. Daher kann ich sicher mit den Verkaufszahlen mithalten. Und obwohl wir eine sperrige Platte (Anm.: Mieze Medusa & Tenderboy "Antarktis") gemacht haben, hat sich die ganz gut verkauft.

Allerdings hab ich mal einen Auftritt von Frauen, die Freestyle machen, gesehen. Die machten so eine Feminismus-Sexismus-Mischung. Statt "mein Schwanz ist länger als deiner" rappten sie "meine Muschi ist schöner als deine". Es ist insgesamt nicht ganz meine Sache, aber ich sehe die Intention dahinter und die finde ich gut. Es war auch offensichtlich, dass sie sich was überlegt haben, dass der Kontext passt usw. Die sind dann aber mit so einem Hass in den Augen gebattelt worden, da hab ich mir dann schon gefragt, wo denn jetzt diese Wut herkommt?
Ich habe aber den Verdacht, dass in anderen Szenen auch so gekämpft wird, nur ist es nicht so offensichtlich.

Außerdem: In der HipHop-Szene gibt es mehr involvierte Frauen als bei den Philharmonikern. Meine Szene kann dafür nicht angemacht werden, woanders ist es nicht besser.

dieStandard.at: Die Berliner Rapperin Lady-Bitch-Ray arbeitet auch vor allem mit einer extrem sexualisierten Sprache, wie findest Du sie?

Mieze Medusa: Zu ihr hab ich keine Meinung, das ist so eine Art Berliner HipHop mit der ich generell nicht klar komme. Ich komme mit den Beats nicht klar und ich komme mit dem Gestus nicht klar, es stört mich aber nicht mehr als bei Männern, dass da eine Frau versucht, mit einer Masche Geld zu machen. Die Sexkarte zu spielen ist sicher eine Schiene, die in irgendeiner Weise wirkt, genauso wie die Gansterkarte im HipHop wirkt. Die Frage ist, ob das langfristig funktioniert.

dieStandard.at: Inwieweit baust du feministische Sprachpolitik in Deinen Texten ein?

Mieze Medusa: Wenn ich Metaartikel schreibe, richte ich mich nach dem Medium. Ich bin natürlich der Meinung, dass Sprache Veränderungspotential hat. Ich denke nicht, dass das Binnen-I die Lösung ist. Warum ich aber ans Binnen-I glaube hat den Grund, dass es das schon so lange gibt und dass es dennoch noch so gehasst wird. Wenn etwas so gehasst wird, das so harmlos ist, dann trifft das auf einen wichtigen Punkt und es hat dann definitiv seine Berechtigung. Mir ist es ein Rätsel, wie man sich nach so vielen Jahren noch immer so aufregen kann – aus dem Grund verwende ich es dann auch. Die Aufregung darum erschließt sich mir überhaupt nicht.

In meinen Raps oder Spoken Word-Texten stellt sich die Frage nicht, weil diese immer in der Ich-Perspektive sind. Was ich aber auf jeden Fall versuche, ist, dass ich feministische Themen reinbringe und versuche Klischeebilder zu durchbrechen.
Im Buch wie auch in meinen Texten kommen oft Frau-Frau Beziehungen vor. Das ist ein sehr einfaches Mittel die Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn aus einer Ich-Perspektive eine Liebesgeschichte erzählt wird, und man entdeckt dann, das die andere Person eine Frau ist – dann hast du die LeserInnen überrascht. Diese Bilder zu durchbrechen finde ich spannend.
Letztlich geht es darum Denkmuster zu durchbrechen und Sprache kreativ zu verwenden.

dieStandard.at: Welche aktuellen Projekte gibt es bei Dir – außer dem Buch?

Mieze Medusa: Irgendwann wird es mit Tenderboy eine neue Platte geben. Und: Ich möchte eine Lanze für Poetryslam brechen, weil es eine sehr nette Bühne ist, wo man sich ausprobieren kann, vor allem Frauen möchte ich einladen dahin zu kommen.
Wir – Diana Köhle und ich – schauen bewusst darauf Frauen einzuladen, aber wir haben auch nur ein Viertel Frauen. Ich sehe die Widerstände, die Frauen haben schon und kenne sie auch selber, halte sie letztlich aber für unnötig, die müssen überwunden werden. Von alleine gibt es gar nichts, das wollt ich auch mit meinem Buch zeigen.

dieStandard.at: Also niemand tritt freiwillig seinen Platz auf der "Bühne" ab?

Mieze Medusa: Nein, warum auch. Ich find das auch gar nicht falsch, dass das nicht passiert. Ein bisschen strecken gehört schon auch dazu. Und immer auf Nummer sicher leben geht doch auch nicht. Das hab ich mehr beim Rap als beim Poetryslam gelernt: Es tut sich kein Loch auf, das eine verschlingt, wenn mal was versaut wird.
Ich hatte schon Gigs, bei denen ich von fünf Nummern drei verhaut habe. Nach Jahren kommt niemand zu dir her und sagt, "ach du warst doch die, die so grottig war" – das passiert nicht.
Die Rezeption ist auch immer anders: Es passiert auch, dass es bei objektiv verschissenen Gigs die Leute super fanden. Beim Slamen konnte ich sehr gut lernen, mir zu sagen "ich lass mich doch hier nicht benoten". Und darum geht es ja auch, zu zeigen, was für ein blöder Wettkampf das eigentlich ist.

Darüber, warum beim Peotryslam mehr Männer sind, hab ich eine Theorie: Männer und Frauen fangen unterschiedlich zum schreiben an: Männer fangen mit der Form an und Frauen mit verdichteten Tagebüchern – ich finde beides dumm.

dieStandard.at: Wie hast Du angefangen?

Mieze Medusa: Mit verdichteten Tagebücher natürlich! Der Event Poetryslam wird von der Form besser getragen, die Art, mit der Männer eher zum Schreiben angefangen. Insofern verstehe ich sogar, dass sich da mehr Männer drübertrauen. Letztlich schreibt man aber dafür, dass wer zuhört. (Beate Hausbichler, dieStandard.at, 17.8.2008)