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Neugeborene sind mit zahlreichen Kompetenzen ausgestattet, so auch der vorsprachlichempathischen Kommunikation des Säuglings mit den primären Bezugspersonen.

Foto: APA/dpa/Patrick Pleul

Der Säuglingsforschung jüngeren Datums ist ein Paradigmenwechsel zu verdanken, der die Sicht auf Säuglinge grundlegend neu definiert. Neugeborene sind nicht durch Defizite gekennzeichnet, sondern mit zahlreichen Kompetenzen ausgestattet. Einer dieser Kompetenzen widmet sich Georg Greifs Diplomarbeit, nämlich der vorsprachlichempathischen Kommunikation des Säuglings mit den primären Bezugspersonen - hier vor allem der Interaktion zwischen Mutter und Kind.

Ohne Frage ein bedeutsames Thema, dessen Behandlung allerdings nicht ganz unproblematisch ist, da die fehlende empirische Überprüfbarkeit des Forschungsgegenstandes einen analytischen Zugang mit wissenschaftlichen Methoden unmöglich macht. Dieser Schwierigkeit ist sich der Autor bewusst, weshalb dem eigentlichen Thema, nämlich der existenziellen Bedeutung empathischer Kommunikation zwischen Mutter und Säugling ein nur vergleichsweise geringer Teil der Diplomarbeit gewidmet ist, während der Schwerpunkt auf einem Überblick aktueller Säuglingsforschung und Entwicklungspsychologie, spezifischer kommunikationswissenschaftlicher Theorien, liegt. Diese interdisziplinäre Betrachtungsweise ist zwar gerade in Bezug auf diese komplexe Thematik sinnvoll, löst aber die Erwartungen, die der Titel suggeriert, leider nur bedingt ein.

Einfühlsames Verstehen als Ausgangspunkt

Greif stellt zu Beginn Befunde aus der Säuglingsforschung vor, die nahe legen, dass Kinder von Geburt an eine Art holistische Realitätsauffassung und eine ausgeprägte Bereitschaft zur Aufnahme und Produktion sozialer Signale besitzen. Da das Repertoire vorsprachlicher Äußerungen von Säuglingen noch sehr gering ist, ist die Dekodierung kindlicher Laute durch die Bezugspersonen und damit ein einfühlsames, also empathisches Verstehen um so wichtiger. Empathie wird hier als eine intuitiv-emotionale Reaktion auf die Äußerungen des Kindes verstanden, die es der Bezugsperson ermöglicht, Ausdrücke des Kindes 'mitzufühlen' und erst in einem weiteren Schritt auf der kognitiven Ebene zu bearbeiten. Diese Erfahrung ist vielen Eltern im Zusammenleben mit Säuglingen vertraut, können sie doch schon nach kurzer Zeit aufgrund kleinster Differenzierungen der Laute ihres Kindes die Bedeutung fast intuitiv erfassen und entsprechend beantworten.

Wesentlich für eine empathische Beziehung ist die eigene Biographie. Wer selbst kein Verständnis in emotionaler Hinsicht als Kind erfahren hat, wird auch kaum Lernmöglichkeiten erhalten haben, sich im mitfühlenden Verstehen zu üben. Hierzu führt Greif einige wissenschaftliche Belege an, die zeigen, dass eine fehlende Einfühlung in die neue Rolle als Mutter/Vater oder depressive Phänomene auf das Neugeborene deutliche Auswirkungen zeigen, da Säuglinge über keine Affektbeherrschung verfügen und daher auf Außenreize und Stimmungslagen unmittelbar reagieren. Demnach werden indifferente oder ablehnende Gefühle durch die Mutter vom Säugling ungefiltert aufgenommen, was sich bei längerem Anhalten vor allem auf die Bindungsfähigkeit des Kindes zur Mutter negativ auswirken kann und die Entwicklung empathischer Kommunikation hemmt.

Über 'echte Gefühle' und 'falsches Lächeln'

Authentisches Verhalten ist untrennbar mit empathischem Verstehen verbunden. Empathische Kommunikation zwischen Mutter und Säugling stellt einen Prozess dar, der sich der bewussten Steuerung entzieht, sondern ausschließlich auf der Ebene der Intuition und Emotion stattfindet. Um Empathie zu lernen ist es daher für den Säugling entscheidend, Gefühlsäußerungen durch die ihn betreuenden Personen mitzuerleben und nachvollziehen zu können. Wie aus der von Greif zitierten Literatur deutlich hervorgeht, stellt die so genannte Affektspiegelung durch die Mutter bzw. Eltern hierbei einen zentralen Aspekt dar. Dabei wird ein kindlicher Affekt (staunen, lachen, erschrecken, etc.) vom Erwachsenen aufgegriffen und in betont übertriebener Weise an das Kind zurückgespiegelt. Dadurch kommt es in der Regel zu einer Nachahmung oder 'Gefühlsansteckung' durch das Kind, wodurch die Affekte für den Säugling nachvollziehbar werden. Das Teilhaben an den Affekten des anderen ermöglicht gleichzeitig das Lernen von Empathiefähigkeit.

Wesentlich dabei ist, dass die Gefühlsäußerungen echt, also authentischen Ursprungs sind und nicht vorgetäuscht werden. Hierzu verweist Greif auf eine interessante Studie, die belegt, dass bereits Säuglinge in der Lage sind, zwischen 'echtem' und 'falschem' Lächeln eines Erwachsenen zu unterscheiden und durch 'Falschheit' der Gefühlsäußerungen das für den Säugling notwendige 'Feedback-System' mit der Mutter unterbrochen und das Verstehen eigener und fremder emotionaler Äußerungen deutlich erschwert wird.

Philosophische Betrachtungsweisen: "Existenz ist nicht, sondern wird" (Jaspers)

Die von der Säuglingsforschung vertretene Annahme, dass eine authentische Begegnung eine notwendige Bedingung für die Entwicklung und Entfaltung des Selbst darstellt, bildet die Verbindung zum philosophischen Teil der vorliegenden Arbeit. Greif stellt hier Gedanken Karl Jaspers, Martin Bubers und Emmanuel Levinas' näher vor. Alle drei gehen davon aus, dass das der einzelne Mensch nie getrennt vom anderen verstanden werden kann. Empathische Kommunikation spielt hierbei eine wichtige Rolle, da nach dieser Auffassung in der kommunikativen Begegnung (verbal und nonverbal) die Grundlage der Existenzverwirklichung zu finden ist. Die echte, offene und somit empathische Zuwendung der Mutter zum Kind bilden die Basis für eine Beziehung zwischen dem Ich und dem Du (Buber) wodurch dem Säugling die Entwicklung eines Bewusstseins über sich selbst ermöglicht wird.

Ausgehend von dieser Betrachtungsweise schlägt Greif abschließend eine Brücke zur Gegenwart und führt mit Richard Sennett, Arno Gruen und Peter Glotz drei weitere Denker ein, die einen gesellschaftsrelevanten Kontext zum Thema herstellen sollen. Besonders die in diesem Abschnitt angeführten Befunde sind leider nicht immer schlüssig dargestellt. Zwar konstatieren die angeführten Philosophen allesamt eine gesellschaftliche Realität, die der Herausbildung einer empathischen Atmosphäre entgegensteht, allerdings werden von Greif hier kaum Anknüpfungspunkte zwischen dem behaupteten zunehmenden Verlust von Empathie in der modernen Gesellschaft und der kindlichen Entwicklung geboten. Der Hintergrund, auf dem die drei letztgenannten Philosophen das Thema Empathie behandeln ist zudem äußerst unterschiedlich (Empathie als im Alltag hinderliche Sentimentalität, Empathische Kommunikation im Zusammenhang mit Medienkritik oder Verlust von Mitgefühl durch steigende ökonomische Zwänge) und so bleibt unklar, was der Autor konkret mit dieser Darstellung bezweckt.

Auch wenn nicht alle Abschnitte der Arbeit ein kohärentes Bild liefern, bietet die vorliegende Diplomarbeit einen vielschichtigen Einblick über die Bedeutung des Sich-Mitteilens und Mitfühlens im Säuglingsalter für das Entstehen von empathischen Empfindungen und die Entwicklung unseres Selbst. Gerade dieser Aspekt scheint in der gängigen Literatur die werdenden oder jungen Eltern zur Verfügung steht unterrepräsentiert, so dass die Lektüre dieser Arbeit eine gute Ergänzung liefert.

Die Diplomarbeit "Die existenzielle Bedeutung empathischer Kommunikation in der Begegnung zwischen Mutter und Säugling" ist im Volltext nachzulesen.