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Für Behörden und Militärs ist die Coca-Pflanze das Übel, das ausgerottet werden muss, für ihre Kritiker ist es die süchtige Gesellschaft. Neurowissenschafter konzentrieren sich auf Vorgänge an den Synapsen und im Thala-mus und werden fündig.

Foto: AP/Hernandez

Heidelberg/Upton, N.Y. - Suchtverhalten kann man auf verschiedenste Weise zu erklären versuchen. Für Neurowissenschafter liegen die Ursachen klarerweise in Vorgängen im Hirn. Eine europäische Forschergruppe hat molekulare Veränderungen an den Synapsen im "Belohnungssystem" als verantwortlich für süchtiges Verhalten erkannt.

Günther Schütz vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg, Rainer Spanagel vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, Christian Lüscher von der Universität Genf und ihren Teams gelang es, bei Mäusen bestimmte Komponenten genetisch auszuschalten, die unter dem Einfluss von Kokain in den Nervenrezeptoren eingebaut werden.

Die Theorie hinter dieser Vorgangsweise lautete, dass Drogen Umbauprozesse an den Synapsen bewirken; Proteine werden ausgetauscht, es entsteht eine "drogenvermittelte synaptische Plastizität" , die ihrerseits bewirkt, dass der Wunsch nach der Droge anhält und Rückfälle mit großer Sicherheit auftreten - dies ist die Definition von Sucht.

In der neuesten Ausgabe der Fachzeitschrift Neuron beschreibt das Neuro-Team, dass die Ausschaltung verschiedener Untereinheiten der Rezeptoren auffällige Unterschiede zu den nicht genveränderten Mäusen produziert. Bei Abwesenheit der Einheit GluR1 zeigte sich eine unverminderte Suche nach der Droge.

Die künstliche Ausschaltung eines anderen Proteins, NR1, hingegen zeigte als Konsequenz, dass die entsprechenden Tiere, im Unterschied zur Kontrollgruppe, keinen Rückfall in die Sucht hatten. Proteine, die durch Substanzen wie Kokain im Dopamin produzierenden Teil des Hirns (de-)aktiviert werden, tragen also zum Suchtverhalten und dessen Verlauf bei. Mittelfristig sollen klinische Versuche an Menschen das Behandlungspotenzial dieser Erkenntnisse ausloten.

Der Dopamin-Trick

Ebenfalls mit den Auswirkungen von Veränderungen im Hirn auf Drogenkonsum beschäftigt sich eine Forschungsgruppe am Brookhaven National Laboratory bei Upton, Long Island. Das BNL ist hauptsächlich als Sitz eines Teilchenbeschleunigers bekannt, die durch ihn ermöglichten Positrontomografien und verwandte Techniken zogen eine medizinische Abteilung an, die sich die Brain-Imaging-Möglichkeiten zunutze machen. (Eine der Suchtforscherinnen dort war Nora Volkov oder Volkow, eine Urenkelin von Trotzki und mittlerweile Direktorin des National Institute on Drug Abuse.)

Ein BNL-Team um den Neurowissenschafter Panayotis Thanos wies nach, dass bei Mäusen eine Erhöhung der Rezeptoren-Niveaus für Dopamin den Konsum von Alkohol und Kokain signifikant senkte. Bei schwachen Rezeptoren, so die Forscher in der Juliausgabe von Synapse, fehle das typische positive Gefühl. Schwach bzw. gering produktiv aber werden sie durch die Suchtstoffe, die sich dann sozusagen an ihre Stelle als Quelle von Freude platzieren.

Eine künstliche Zufuhr von Dopaminen - durch genetisch veränderte Viren - führte zur Reduktion, der Effekt dauerte allerdings nur rund eine Woche.

Zwei Monate zuvor hatte Thanos' Team in einer verwandten Tierstudie gezeigt, dass Kokain über den Dopamin-"Trick" hinaus auf den Hirnstoffwechsel allgemein einwirkt. Es beobachtete eine Verminderung in der Thalamus-Region, wahrscheinlich vermittelt durch die Neurotransmitter Norepinephrin und Serotonin.

Hyperaktivitäts-Störungen (ADHD) werden übrigens mithilfe ebenso modifizierter Tiere untersucht - eine Tatsache, die angesichts der phänomenologischen Ähnlichkeiten mit Koksern nicht überrascht. (mf, APA/DER STANDARD, Printausgabe, 16./17.8.2008)