Libanon im Sommer 2008: Dreieinhalb Jahre nach der Ermordung von Rafik Hariri (der libanesische Ex-Premier, der, viel zu simpel, als "antisyrisch" in die Geschichtsbücher eingeht) besucht der libanesische Präsident Michel Sleimane Damaskus. Die Syrer beklatschen die libanesische Souveränität, sie soll mit der formellen Demarkation der Grenze und mit dem Austausch von Botschaftern - die "privilegierten" Beziehungen, wie das euphemistisch hieß, machten diplomatische Beziehungen früher "unnötig" - besiegelt werden.

Dazwischen liegt der nach dem Hariri-Mord durch Druck erzwungene Abzug der syrischen Truppen sowie der israelische Versuch 2006, die Hisbollah im Libanon militärisch zu besiegen. 2007 bewährt sich die libanesische Armee gegen Al-Kaida, die in einem Palästinenserlager Fuß gefasst hat. Die innenpolitische Krise, in der die Hisbollah militärisch auftrumpft, dadurch aber an Popularität verliert, ist beigelegt, das Gespenst des Bürgerkriegs gebannt - durch den ersten arabischen Vermittlungserfolg mit Chance auf Nachhaltigkeit.

Dazu kommt, dass die Aufteilung der politischen Macht zwischen "Mehrheit" und "Opposition", zwei jeweils konfessionell gemischten Blöcken, die jetzt (wieder) in einer Regierung vereint sind, als Schritt zur Überwindung der Politik des rein konfessionellen Proporzes gesehen werden könnte.

Wenn das keine guten Nachrichten sind. Oder? Am schwersten tun sich die USA, ihre Irritation zu zeigen oder zu verbergen, je nachdem, ist doch die politische "Mehrheit" in Parlament und Regierung in Beirut nach wie vor "antisyrisch" - was, ebenfalls viel zu simpel, gemeinhin als "prowestlich" übersetzt wird. Die libanesische Demokratie, die nur von Syrien und Iran am Erblühen gehindert werde, war in den vergangenen Jahren ein Leitmotiv der US-Nahostpolitik. Und jetzt das: Syrien ist weg (oder zumindest so sehr weg wie nie zuvor), Syrien redet indirekt mit Israel, was beweist, dass die syrische Agenda getrennt von der iranischen gesehen werden kann - und die Hisbollah im Libanon ist stärker denn je.

Und zwar auch politisch gestärkt, innerhalb einer Einheitsregierung, die ihr das Recht auf "Widerstand" gegen Israel bescheinigt und auf jede Initiative verzichtet, sie, wie von der UNO-Resolution 1701 von 2006 gefordert, zu entwaffnen. In Israel wird die "Kapitulation" der libanesischen Regierung vor der Hisbollah beklagt - und mit Golan-Manövern beantwortet: Zur öffentlichen Einsicht, dass gerade der Versuch einer militärischen Lösung 2006 zur heutigen Situation beigetragen hat, scheint man noch immer nicht bereit zu sein.

Dennoch werden die USA die libanesische Regierung weiter unterstützen: Vorige Woche war US-General David Petraeus zu Gesprächen in Beirut, in denen es um eine weitere US-Hilfe für die libanesische Armee ging. Diese hat sich laut Israel zwar von einer Überwachung der Hisbollah-Waffenlieferungen abgemeldet, aber, wie man am wahrscheinlich islamistischen Anschlag in Tripoli am Mittwoch sah, braucht sie Stärkung gegen Kaida-nahe Gruppen.

Und die Hisbollah? Es gäbe wohl eine Möglichkeit, ihr ordentlich Gegenwind auf ihrem politischen Höhenflug entgegenzublasen: Israel könnte die Shebaa-Farmen, um die sich der verbliebene Widerstandsmythos rankt, bis zur Klärung der Eigentumsverhältnisse (Libanon oder Syrien) an die UNO übergeben. Das wäre machbar, und umso wirksamer, wenn es vor den Wahlen im Libanon 2009 passiert. Unrealistisch? Auf alle Fälle realistischer als so manch andere laufende Scheinverhandlungen. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 16.8.2008)