Der Stachel des offenen Briefes, mit dem von ihrer Parteispitze enttäuschte Sozialdemokraten und Sympathisanten an die Öffentlichkeit getreten sind, sitzt doch tiefer, als es opportunistischen Politbürokraten lieb ist. Das beweist weniger die verkrampfte Antwort, die Bundesgeschäftsführerin Doris Bures am Mittwoch im "Standard" Ferdinand Lacina zuteilwerden ließ, umso stärker dafür die Kolumne, zu der am selben Tag Helmut Zilk in der "Kronen Zeitung" antreten musste. Der Ombudsmann ist des Herausgebers hauseigene Lieblingswaffe gegen alles, was sich seiner Philosophie, Österreich muss "Krone" werden, und ihren Adepten in der Politik entgegenstellt. Gilt es Letztere zu verteidigen, gilt es umso mehr, deren Feinde dingfest zu machen, und nichts ist leichter als das, am besten im Kollektiv - "Krone": Reibebaum fürs intellektuelle Milieu.

Keine Schreckensherrschaft, die nicht die Intellektuellen gegen "das Volk" ausgespielt hätte. Warum sollte es angesichts einer medienpolitischen Schreckensherrschaft, an deren Errichtung nicht zuletzt durch vorauseilende Unterwerfung gearbeitet wird, anders sein? Folgt man Helmut Zilk, dann hat sich die "Krone" in den letzten Monaten für nichts anderes aufgeopfert, als den Österreicherinnen und Österreichern eine sozialere, ökologischere und bürgernähere EU schmackhaft zu machen, wie sie auch ein Werner Faymann anstrebt, der vor seinen Parteifreunden unlängst klargestellt hat, wie er zur Europäischen Union steht: Die EU sei das bedeutendste Friedensprojekt der Geschichte. Diesen Frieden sicherzustellen, dazu leiste die EU einen unschätzbaren Beitrag.

Das ist auf den Leserbriefseiten der "Krone" und in den Aufrufen ihres Herausgebers nicht ganz so deutlich hervorgekommen und hätte auch gar keines Briefes der SP-Spitze bedurft. Eben deshalb verstehen diese dummen Intellektuellen ja auch nicht, warum er geschrieben wurde. Was tun sie daher? Sie reiben sich unablässig daran, dass Faymann seine Sicht eines neuen demokratischeren Europa zuallererst in einem Brief an die "Krone" formuliert hat.

Nebenbei: Sie reiben sich nicht nur daran, dass es kaum die Begeisterung der "Krone" für das Friedensprojekt EU war, die diesen Brief ausgerechnet an dieses Blatt diktierte; sondern ebenso sehr daran, dass eine Partei über Nacht und ohne jeden sachlichen Grund einer hasserfüllten und vor falschen Behauptungen strotzenden Kampagne nachgab, indem sie sich der bisher mit gutem Grund abgelehnten Forderung nach einer Volksabstimmung unterwarf, um sich im Wahlkampf auf dem Boulevard als volksnah zu empfehlen. Die Erinnerung daran, dass es in der Kampagne um eine Volksabstimmung ging, hat bei Zilk so sehr nachgelassen, dass er sogar das Wort zu erwähnen vergaß.

Dass dieser EU-Streich in der SPÖ ohne Diskussion und Beschluss über die Bühne ging, dürfte vor allem Intellektuelle gestört haben, die ihr angehören, aber wer weiß? - Vielleicht machen sich auch Außenstehende Gedanken über demokratische Glaubwürdigkeit. Wer allerdings die Auffassung verinnerlicht hat, Demokratie ist das, was Dichand nutzt, wird, so wie Zilk, über eine solche Kleinigkeit kein Wort verlieren. Der tröstet sich damit: Werner Faymann erhielt für seine Position zu Europa übrigens frenetischen Applaus von seinen Parteifreunden. Nicht zuletzt in dem Teil, in dem er, nach konsequenzlosem Eingeständnis eines Fehlers, so weit retirierte, wie das möglich war, ohne den Onkel zu verprellen. Und die dümmliche Unterstellung der "Intellektuellen", die SPÖ wolle neuerdings Österreichs Austritt aus der EU, entgegnete er auf brillant einfache Art, was gar nicht schwer war, weil die "Intellektuellen", dumm wie sie sind, gar nicht bemerken, dass ein solch anspruchsvolles Programm nur auf dem Mist der "Krone" wachsen kann.

Aber Zilk kann es auch milde. Nachdem Anton Pelinka in der "Frankfurter Allgemeinen" von Alarmzeichen geschrieben hat, nimmt er die Intellektuellen vor dem Politikwissenschafter in Schutz. Das hat das intellektuelle Milieu in Österreich eigentlich nicht verdient: In einer der angesehensten Zeitungen des deutschen Sprachraums als so schlicht eingestuft zu werden, dass man, um dazuzugehören, bloß die "Kronen Zeitung" ablehnen muss.

Das allein genügt nicht, man muss schon auch eine zu purem Opportunismus degenerierte Politik ablehnen, um dazuzugehören. Aber dass Helmut Zilk Österreichs intellektuelles Milieu vor Anton Pelinka schützen will, das hat intellektuellen Pfiff. (Günter Traxler, DER STANDARD; Printausgabe, 16./17.8.2008)