Es gibt eine Konstante in der Geschichte Russlands etwa seit dem 17.Jahrhundert bis heute, Sowjetunion inklusive: statt Reformen im Inneren Expansion nach außen. Das 19.Jahrhundert bildete einen Höhepunkt: Während die Masse der Bauern in bitterster Armut und Leibeigenschaft lebte, inhalierte Russland in blutigen Kämpfen den Kaukasus und Zentralasien. Das waren übrigens überwiegend muslimische Gebiete - mit Ausnahme des bereits seit dem 4. Jahrhundert christlichen Georgien.

Der russische Imperialismus lebt nun auch unter Wladimir Putin wieder auf. Er will zwar nicht die alte Sowjetunion wieder herstellen, aber die ehemaligen Teilstaaten der UdSSR wieder unter russischen Einfluss bringen. Russlands enormer Rohstoffreichtum erlaubt dieses Vorgehen. Die Mittel wären zwar besser eingesetzt, um die soziale Lage eines Landes zu verbessern, in dem etwa die Lebenserwartung sinkt statt wie in anderen entwickelten Ländern zu steigen; aber das ist nicht der russische Weg.

Der Fall Georgien ist insofern ein Wendepunkt, als dafür erstmal die russische Armee eingesetzt wird. Die Konsequenzen für Europa sind vorhersehbar. Als nächstes sind die Ukraine und die baltischen Staaten dran. Dort leben überall große russische Minderheiten. Warum soll Putin dort nicht militärisch intervenieren, wenn es geht? Oder zumindest Regierungen einsetzen, die seinem autoritären Politikverständnis besser entsprechen?

Auf die Frage, was Europa oder "der Westen" dagegen tun soll oder überhaupt kann, gibt es zunächst nur eine scheinbar unbefriedigende Antwort: den Ernst der Lage erkennen.

Die Reaktion der europäischen Staatsführer ist zum Teil von Erkenntnisverweigerung gezeichnet. Der deutsche Außenminister und wohl künftige SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier etwa hat sich aufs Beschwichtigen und Bagatellisieren verlegt. Man könne "Stabilität im Kaukasus nicht ohne oder gegen Russland erreichen". Das stimmt grundsätzlich, nur kommt es darauf an, wie man Russland bewertet: als letztlich doch verlässlichen und rationalen Partner, der diesmal eben ein bisschen provoziert wurde - oder als Staat mit eindeutigem Hegemoniestreben.

Russland ist keine echte Demokratie. Eine Kultur des Konsenses, des Interessenausgleichs und des Kompromisses konnte (noch?) nicht etabliert werden. Russland hat daher auch keine inneren institutionellen Kontrollen, keine kritischen Medien, kein aufmüpfiges Parlament, keine Zivilgesellschaft. Das ist übrigens der gewaltige Unterschied zu den USA, die vielfach auch als Hegemonialmacht gleichgesetzt werden. Ja, die USA unter Bush haben einen unberechtigten Krieg im Irak geführt. Aber der nächste Präsident wird diesen Krieg nicht so weiterführen können, weil sich die Stimmung im Land gedreht hat.

Putins Russland wird, wenn es ihm passt und möglich erscheint, eines Tages auch auf das EU-Europa massivsten Druck ausüben. Wohl nicht militärisch, aber auf vielfältige andere Weise. Europa kann diesem "Partner" nur höchst eingeschränkt vertrauen. Das zu begreifen, ist der erste Schritt. (Hans Rauscher/DER STANDARD, Printausgabe, 16.8.2008)