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Sowjetische Panzer am 21. August 1986 in der Prager Innenstadt.

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Prag - Als vor 40 Jahren, in der Nacht vom 20. auf den 21. August 1968, sowjetische Panzer in die Tschechoslowakei rollten, haben sich viele Tschechen und Slowaken an den berühmten Satz des sowjetischen KP-Chefs Leonid Breschnew vom Dezember 1967 erinnert: "Eto wasche djelo" ("Das ist eure Sache"). Breschnew wollte sich damals nicht in innerparteiliche Spannungen der tschechoslowakischen Kommunisten einmischen. Der vor allem in der Slowakei unpopuläre Tscheche Antonin Novotny wurde von Parteifreunden wegen seines Führungsstils immer mehr kritisiert und fürchtete um seine Position. Novotny lud deswegen Breschnew nach Prag ein und erwartete, dass er sich hinter ihn stellt.

Vergeblich. Anfang Jänner 1968 wurde Novotny vom Amt des KP-Chefs abgesetzt und durch den Slowaken Alexander Dubcek ersetzt. Ein Demokratisierungsprozess mit der Etikette eines "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" setzte sich in Bewegung, der jedoch acht Monate später ein tragisches Ende hatte. Die Armeen von vier Staaten des Warschauer Paktes - UdSSR, Polen, Ungarn und Bulgarien - besetzten innerhalb von wenigen Stunden die gesamte Tschechoslowakei. Eine Prager Zeitschrift griff den oben genannten Breschnew-Satz auf und fügte in einem Scherz einen weiteren hinzu: "I eto nasche djelo" ("Und außerdem, das ist unsere Sache"). Gemeint war die Invasion, die Moskau als "internationale brüderliche Hilfe gegen die Konterrevolution" darstellte.

Viele Tschechen und Slowaken verloren damals jede Illusion über die Sowjetunion und empfanden den Truppen-Einmarsch als schweren Verrat. Die "Rote Armee" war bis dahin in der Tschechoslowakei nämlich vor allem als eine Kraft wahrgenommen, die 1945 das Land von der Nazi-Okkupation befreit hatte. So entstand im August 1968 ein anderer Scherz, in dem der legendäre, im Prager Stadtviertel Smichov als Denkmal aufgestellte sowjetische Panzer Nr. 23, der am 9. Mai 1945 als erster nach Prag einrückte, eine Rolle spielte. "Wissen Sie, was die Nummer 23 an diesem Panzer bedeutete? In 23 Jahren sind wir zurück."

Warnsignale aus Moskau

Der "Prager Frühling" 1968 war offenbar der letzte Versuch, den "realen Sozialismus" zu retten. Wie im November 1956 in Ungarn, wiederholte sich das Szenario um zwölf Jahre später in der Tschechoslowakei, wenn auch weniger blutig. Dubcek glaubte offensichtlich bis zur letzten Minute nicht, dass die Russen kommen würden, obwohl die Warnsignale aus Moskau immer stärker wurden. "Wie konnten sie mir das antun!", reagierte der populäre Hoffnungsträger der Tschechen und Slowaken schockiert, als er im Laufe einer nächtlichen Politbüro-Sitzung in Prag erfuhr, dass die Armeen der Pakt-Staaten begannen, die Tschechoslowakei zu besetzen.

Mit der Warschauer-Pakt-Invasion vertiefte sich in den Seelen der Tschechen und Slowaken ein altes Trauma. Die tschechoslowakische Armee stellte sich in einer Krisensituation wieder nicht zum Widerstand auf. Auch 1938, als Staatspräsident Edvard Benes eine Mobilmachung gegen die Gefahr seitens Hitler-Deutschland angeordnet hatte, konnten die Streitkräfte das Land nicht verteidigen. Nach der Unterzeichnung des Münchener Abkommens im September 1938 musste die tschechoslowakische Armee die Festungen in den Grenzgebieten räumen und das Sudetenland an Deutschland abgeben.

Ähnlich war es im August 1968. Gleich nach der Invasion bekamen die tschechoslowakischen Streitkräfte von Staatspräsident Ludvik Svoboda und Verteidigungsminister Martin Dzur den Befehl, in den Kasernen zu bleiben, um jegliches Blutvergießen zu vermeiden. Etwa 700.000 Soldaten des Warschauer Paktes marschierten ein, während die tschechoslowakische Armee in jenem Moment etwa 200.000 Mann zählte.

Von außen zum Scheitern verurteilt

Nach Auffassung einiger Experten war der "Prager Frühling" von Anfang an wegen Außenfaktoren zum Scheitern verurteilt. Die Tschechoslowakei lag in der bipolaren Welt nach dem Zweiten Weltkrieg in der Einfluss-Sphäre der Sowjetunion, war selbst Mitglied des Warschauer Vertrages und Moskau wollte die Kontrolle über den strategisch wichtigen Raum in Zentraleuropa nicht verlieren. Und wie kürzlich Venek Silhan, interimistischer Vertreter Dubceks an der KP-Spitze im August 1968 (als Dubcek einige Tage in Moskau interniert war), erklärte, hätten die sowjetischen Generäle schon seit längerem eine Gelegenheit zur Präsenz von sowjetischen Truppen in der Tschechoslowakei gesucht.

Für die heutige Tschechische Republik ist der 21. August 1968 einer der tragischsten Momente in der Geschichte des Volkes und eine brutale Aggression, die den imperialen Interessen der Sowjetunion dienen sollte. Auch die jetzigen Kommunisten (KSCM) wagen nicht, die Invasion zu verteidigen. Für sie sei es aber nur eine "gewaltige und nicht demokratische Beendigung eines Reformprozesses", die die "Idee des Sozialismus beschädigt" habe.

Für Hunderte tschechische und slowakische Familien war die "internationale brüderliche Hilfe" eine direkte Tragödie: Nur bis Ende 1968 forderte die Invasion 108 Menschenleben und 500 Schwerverletzte unter der Zivilbevölkerung. Es dauerte dann fast 23 Jahre, bis die sowjetischen Truppen die Tschechoslowakei verließen. (APA)