Es war gestern. Da war A. zuerst verwundert - und beschloss dann, beleidigt zu sein. Schließlich, schnaubte sie, sei es doch eine Beleidigung, wenn Post käme, die offensichtlich für eine Zielgruppe von über 60-jährigen konzipiert sei. Denn mit solchen Bildern, zürnte A. und fuchtelte mir mit dem Heft, das sie gerade aus dem Kuvert gezogen hatte, vor der Nase herum, mit solchen Bildern könne man bei nicht-alten Menschen heute nicht punkten. Ganz abgesehen vom Versuch, sie zu rein zu legen: Schlimm genug, dass manche braven Pensionisten auf solche Schmähs hereinfielen - aber das bei einem Nicht-Rentner zu versuchen, sei eben eine Beleidigung. Und außerdem: Wer kaufe heute schon und noch einen Kalender? Aber vor allem: Woher, fragte A., habe der Verlag ihre Daten?
Ich zupfte A. das Heft aus der Hand. Und erkannte, dass es kein Heft war: "Tierschutz-Bildkalender 2009" stand auf dem Cover. Und eine Katze und ein Hund blickten mich treuherzig an. Drinnen gab es jede Menge Tiere: Panda Fu Long, Eisvogel, Pferde, Äffchen - das ganze Niedlich-Programm. Allerdings in einer Foto-Sprache, die ich das vorletzte Mal in den Sachunterricht-Büchern der 70er-Jahre gesehen hatte. Und das letzte Mal in den gerahmten Tierfotos, die bei einem Besuch in einem Pflegeheim ein bisserl Leben in die Geriatrie-Gänge zu bringen versucht hatten. Vergeblich.
Begleitschreiben
Der Kalender, sagte A., sei heute in der Post gelegen. Kuvertiert und mit Begleitschreiben. Und einem Zahlschein. Sie habe das Ding weder bestellt noch wisse sie, wer oder was die "Österreichische Tierschutzzeitung", die da als Absender aufscheine, sei. Und wie die Kalendermacher an die kaum verwendete Vollversion ihres Nachnamens und unsere Adresse gekommen wären, sei ihr auch schleierhaft. Aber, setzte sie fort, auch wenn der Brief ein paar Fragen aufwerfe, werfe er auch ein bezeichnendes Licht in ein von uns bisher kaum beachtetes Segment der Konsumgesellschaft: Der Konkurrenzkampf unter den Bildchenkalenderanbietern müsse mittlerweile mörderisch sein - sonst würde doch niemand auf die Idee kommen, schon Mitte August die 2009er-Kalender auszuschicken.
Wirklich ärgerlich, meinte A., sei aber ganz etwas anderes: Im Beibrief werde nämlich suggeriert, dass das Ding exklusiv („nur in begrenzter Stückzahl"), traditionsreich („Seit 50 Jahren ist es unsere Aufgabe, Menschen von der Wichtigkeit des Tierschutzgedankens zu überzeugen") und hilfreich ("bedenken Sie, dass selbst ein kleiner Beitrag schon eine große Hilfe für den Tierschutz sein kann", "viel FREUDE und für einen GUTEN ZWECK") sei. Allerdings fehle jeder Hinweis auf Art und Qualität der Tierschutzarbeit. Unter der am Brief angegeben Telefonnummer habe niemand abgehoben - und dass am Briefkopf keine Homepage stehe, sei wenig hilfreich und bezeichnend: Es zeige, dass die angepeilte Zielgruppe wohl unter "sehr alt" schubladisierbar sei.
Zahlschein
Wohl auch deshalb scheine der Preis des Kalenders im Begleitschreiben nirgendwo auf ("schon ein kleiner Beitrag") - lediglich am Zahlschein stehe eine Summe: 14,20 Euro. dafür verweise der Brief immerhin auf den Nutzen des Kalender: "Er wird ihnen mit entzückenden Tierbildern und interessanten Informationen sicherlich ein wunderbarer Begleiter durch das kommende Jahr sein." Wir nahmen den Kalender noch einmal zur Hand: Ob die Bilder entzückend oder altbacken sind, wollten wir nicht für andere Leute entscheiden - aber die "interessanten Informationen" fanden wir nicht. Es sei denn, die Tierschutzkalendermacher meinten damit die Angabe von Datum und Wochen- und Namenstagen sowie Icons zu Voll-, Halb- und Neumond und das Sternzeichen des jeweiligen Tages.
"Ein Fall fürs Altpapier", urteilte ich (ohne A. nach ihrer Meinung zu fragen) patriarchalisch-autoritär - und wollte das Ding schon zur Altzeitungskiste werfen. Aber A. hielt mich zurück: Genau das solle man nicht tun, meinte sie. Das stehe doch auch im Begleitbrief der Tierschutzzeitung: "Sollten Sie wider Erwarten keine Verwendung für den Kalender haben, senden Sie ihn bitte an uns zurück. Wir wünschen alles Gute für das Jahr 2009 und danken im Voraus für ihre Mitarbeit." Ich machte das Kuvert noch einmal auf: Natürlich lag da kein frankiertes Rückkuvert oder irgendetwas Ähnliches drin. Ich warf das Tierchenbuntblatt weg. A. sah mich an: "Ja eh - und jetzt stell dir vor, du bist ein 85-jähriger Greis oder ein altes Mutterl. Die gehen vermutlich wirklich zur Post. Oder kaufen den Kalender. Entweder wegen der armen Tiere - oder weil sie etwas, das wem anderen gehört und das er zurück haben will, nicht behalten wollen. Noch dazu, wenn der sich so für das Gute einsetzt." Thomas Rottenberg, 21.08.2008, derStandard.at)