Alpbach - "Es scheint etwas faul im Staat Österreich zu sein" ("But something, it seems, is rotten in the state of Austria"), schreibt die Wissenschaftszeitschrift "Nature" im Editorial ihrer aktuellen Ausgabe in ungewohnter Schärfe. Anlass für dieses Urteil bietet "skandalöses Verhalten" rund um eine Harninkontinenzstudie an der Urologie der Medizinischen Universität Innsbruck, die bereits seit Monaten - auch international - für Diskussionen sorgt. Österreichs "gravierendster Fall von wissenschaftlichem Fehlverhalten in jüngster Zeit" müsse anständig und offen behandelt werden, lautet der Appell an alle Beteiligten, darunter auch die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Hintergrund

Die Behandlungsmethode und das Verhalten der Innsbrucker Urologen war wie berichtet nach der Klage eines deutschen Patienten ins Kreuzfeuer der Kritik geraten: Er sei an der Klinik mit einer experimentellen Methode der "nicht wissenschaftlich anerkannten Stammzellen-Therapie" gegen Harninkontinenz behandelt worden, ohne darüber ausreichend aufgeklärt worden zu sein. Im Prüfbericht der Gesundheitsagentur AGES PharmMed hielt die Harninkontinenzstudie nicht stand: Sie sei nicht gemäß Arzneimittelgesetz durchgeführt worden. Zudem wurde der Verdacht der Dokumentenfälschung laut. Die Inspektoren sprachen dem Urologen Hannes Strasser in seiner Eigenschaft als Prüfarzt die Verantwortung zu. Daraufhin forderte die Med-Uni Strasser auf, "die gegenständliche Publikation in den wissenschaftlichen Journalen 'Lancet' und 'World Journal of Urology' unverzüglich zurückzuziehen".

Untersuchungen eines Skandals "vereitelt"

Dieser Fall kann laut der Fachzeitschrift "Nature" als Beispiel gelten, bei dem es "beunruhigende Zeichen" gebe, dass Untersuchungen eines Skandals von nie dagewesener Tragweite "in diesem kleinen Land vereitelt werden". So zeige der Bericht der AGES, über den ebenfalls in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift berichtet wird, dass die klinische Studie eigentlich als ungültig in Betracht gezogen werden müsste. "Nature" verweist u.a. auf die weiteren Patienten, die bereits für die "Stammzellen-Therapie" gegen Harninkontinenz bezahlt hätten, ohne dass ihnen der experimentelle Status bekanntgewesen sei.

Zudem müsse "grundsätzlich" ein Department-Leiter die Verantwortung für die Geschehnisse an seiner Einrichtung übernehmen - und vor allem für jede Publikation, bei der er Ko-Autor ist. Damit richtet sich die "Nature"-Kritik gegen Urologie-Vorstand Georg Bartsch, der - trotz "Ehren-Autorenschaft" bei den veröffentlichten Arbeiten - jegliche Verantwortung zurückweist.

Hahns Reaktion

"Ich lasse mir den Forschungsstandort nicht kaputt reden, wegen eines schwarzen Schafes", reagierte der Wissenschaftsminister Johannes Hahn am Donnerstag. Das österreichische Wissenschaftssystem sei nicht verrottet, sondern "wohlbestallt". Trotzdem will Hahn, dass die geplante "Agentur für wissenschaftliche Integrität" mehr Kompetenzen erhält und auch von sich aus tätig werden kann. Ursprünglich war geplant, dass diese Stelle nur tätig wird, wenn sie von ihren Vereinsmitgliedern, also etwa einer Uni, dazu aufgefordert wird.

Das ist Hahn zu wenig weitgehend. "Ich möchte FWF, ÖAW und Universitätenkonferenz ermuntern, diese Stelle beschleunigt einzurichten und sogar noch einen Schritt weiter zu gehen als jetzt gedacht war, nämlich dieser Agentur die Möglichkeit zu geben, aktiv Dingen nachzugehen oder auch unaufgefordert Datenmaterial anzuschauen, wenn es irgendwo eine Diskussion gibt", so der Wissenschaftsminister. Damit würde man den Standard erreichen, den es in den USA schon gebe.

Im konkreten Fall an der Medizinischen Universität Innsbruck sieht Hahn keinen Handlungsbedarf für sich als Wissenschaftsminister: Der Rektor habe ohnedies den hauptinvolvierten Wissenschafter suspendiert, das seien die "klassischen Maßnahmen". "Hier gibt es Regulative und Zuständigkeiten, die wahrgenommen werden", sagte Hahn, für den "offensichtlich auch persönliche Auseinandersetzungen im Gange sind, die das überlagern und zu so unerquicklicher Berichterstattung führen".

Abberufung des Rektors

Im Zusammenhang mit dem Fall spricht "Nature" im Editorial auch die vom Universitätsrat angestrebte Abberufung des Rektors der Med-Uni Innsbruck, Clemens Sorg, an, der den Fall öffentlich gemacht und die ÖAW mit einer unabhängigen Untersuchung beauftragt hat. Diese hat die ÖAW - vor dem Hintergrund des Abberufungsverfahrens gegen Sorg - mittlerweile auf Eis gelegt.

Dem Universitätsrat der Med-Uni Innsbruck rät "Nature", "sorgfältig nachzudenken, bevor er seine Drohung wahr werden lässt, den Rektor unter diesen Umständen zu feuern".

Fortführung der Untersuchung empfohlen

Das Fachblatt kritisiert aber auch die ÖAW, die "sich selbst und der Gemeinschaft, die sie repräsentiert, einen unentschuldbaren Bärendienst" erweise, in dem sie nicht dazu beiträgt, einen "Skandal diesen Ausmaßes" aufzuklären. Würde die Untersuchung fortgeführt, könnte die ÖAW besser ihre Unabhängigkeit in dem Fall unter Beweis stellen, nämlich unabhängig von der "beschämenden Affäre" rund um die mögliche Abwahl des Rektors.

Zugleich verweist "Nature" auf das Fehlen einer Einrichtung in Österreich, die wissenschaftlichem Fehlverhalten auch "gesetzlich verantwortlich" nachgeht. Der Innsbrucker Fall möge den Prozess beschleunigen, eine solche Institution aufzubauen. Der Präsident des Wissenschaftsfonds FWF, Christoph Kratky, hatte erst am Dienstag angekündigt, dass noch im Herbst eine "Agentur für wissenschaftliche Integrität" starten soll. (APA)