Zur Person

Thomas F. Schaller ist Professor an der University of Maryland. In seinem Buch "Whistling Past Dixie" sucht er nach Wegen, wie die Demokraten auch ohne den Süden der Vereinigten Staaten US-Präsidentschaftswahlen gewinnen können.

Foto: University of Maryland

Politikprofessor Thomas F. Schaller empfiehlt den Demokraten, den konservativen Süden zu vergessen. Dort könnten sie nicht gewinnen. Frank Herrmann sprach mit ihm über die Politgeografie der USA.

STANDARD: Herr Schaller, wo wird die Wahl entschieden?

Schaller: Dort, wo das Rennen schon 2000 und 2004 entschieden wurde, im Mittleren Westen und im Südwesten. Im Mittleren Westen gab es vor vier Jahren fünf Bundesstaaten, in denen George Bush beziehungsweise John Kerry mit weniger als fünf Prozent Vorsprung gewannen: Ohio, Iowa, Michigan, Minnesota und Wisconsin. Im Südwesten waren es Nevada, New Mexico und Colorado. Diese acht Staaten bilden das Herz der Swing States, wo das Pendel in jede Richtung ausschlagen kann. Die Leute vergessen das schnell, weil alle an Florida denken, an die dramatische Auszählung 2000.

STANDARD: Nach dem Muster der letzten Jahrzehnte gewinnt der demokratische Kandidat im Nordosten, an den Großen Seen und der Westküste, der republikanische im Rest des Landes. Ändert sich das?

Schaller: Zuletzt blieb das Farbmuster ziemlich stabil. Die roten Staaten, die Hochburgen der Republikaner, sind noch röter geworden. Die blauen, wo die Demokraten dominieren, noch blauer. 1960, beim Duell John F. Kennedys gegen Richard Nixon, lagen in 14 Bundesstaaten zehn oder mehr Prozent Abstand zwischen den beiden Bewerbern. 2000 war das schon in 28 Staaten der Fall. Es kommt seltener vor, dass ein Staat die Parteifarbe wechselt. 2004 schwenkten Iowa und New Mexico von Blau zu Rot, während New Hampshire von Rot zu Blau wechselte. Das war alles.

STANDARD: Welchen Einfluss haben demografische Veränderungen?

Schaller: Im Südwesten, in Nevada, Arizona oder New Mexico, haben sich Hunderttausende angesiedelt, die vorher in urbanen Zentren an der Küste lebten. Das hat Einfluss. Nach Virginia, in den Speckgürtel um Washington, sind viele Einwanderer aus Asien gezogen. Virginia ist nicht mehr der alte Süden, zu dem es einmal gehörte. Das alles könnte die blau-roten Konturen verwischen, wenn auch nicht dramatisch. Ich rechne damit, dass der 44. Präsident nur mit knapper Mehrheit ins Weiße Haus zieht.

STANDARD: Warum gewinnt Obama im konservativen Süden nicht stärker an Boden? Mit seiner Botschaft, Amerika einen zu wollen, scheint er doch Wählergruppen zu erreichen, die für einen demokratischen Kandidaten lange unerreichbar waren.

Schaller: Es liegt an den Rassenbeziehungen. Die Schwarzen des Südens werden nahezu geschlossen für Obama stimmen. Aber das reicht nicht. Beispiel Mississippi: Mit dem Votum der Afroamerikaner käme Obama auf 37 Prozent. Um die absolute Mehrheit zu erreichen, braucht er weitere 13 Prozent, das entspricht rund einem Fünftel der weißen Wähler. Kerry hatte 2004 gerade mal 14 Prozent der Weißen in Mississippi hinter sich. Weiße Südstaatler entscheiden sich nun einmal mehrheitlich für die Republikaner, daran wird sich so schnell nichts ändern.

STANDARD: Die Hispanics wachsen schneller als andere Bevölkerungsgruppen. Wie wirkt sich das aus?

Schaller: Bush erhielt vor vier Jahren 40 Prozent der hispanischen Stimmen. Das ist wohl die Obergrenze für einen Republikaner. Der demografische Trend hilft den Demokraten, auch wenn die Hispanics lieber Hillary Clinton zur Kandidatin gehabt hätten als Obama.

STANDARD: Entscheiden also die Hi-spanics das Rennen?

Schaller: Wenn man es so zuspitzt, würde ich sagen, nein, den Ausschlag gibt, wie sich der männliche, weiße, politisch gemäßigte Arbeiter im Mittleren Westen entscheidet. Das ist, statistisch gesehen, der Wähler, auf den es am meisten ankommt. Der Mittlere Westen hat deutlich mehr Stimmen zu vergeben als der Südwesten.

STANDARD: Ein alter Slogan besagt, dass die Nation dorthin marschiert, wohin Ohio marschiert. Ist dem immer noch so?

Schaller: Als klassischer Swing State ist Ohio nach wie vor wichtig, aber nicht mehr so entscheidend wie früher. Falls Obama Nevada, New Mexico und Colorado auf seine Seite zieht, holt er 19 Wahlmänner. Ohio stellt 20. Das zeigt, wie wichtig Ohio ist. Zugleich zeigt es, dass Obama auch dann Präsident werden kann, wenn er in Ohio verliert, aber dafür im Südwesten und, sagen wir, in Virginia gewinnt. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.8.2008)