The Verve und ihr Reunion-Album "Forth": ein souveränes Werk minus der Gnade des Zeitgeists.

Foto: EMI
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Wien - Gute Musik gibt es immer, bedeutsame Musik ist rar. Sie erfasst ein Lebensgefühl oder gibt dieses, wenn zur richtigen Zeit am richtigen Ort die richtigen Personen zusammentreffen, sogar vor. Eine Gnade des Zeitgeists. Dem Brit-Pop-Boom in den 90ern gelang das mehrfach. Dieser war, grob vereinfacht, eine Reaktion auf die US-amerikanische Dominanz vor und nach Grunge. Wobei in jenen Jahren auf der Insel nicht nichts passiert ist, sondern etwa die Rave-Bewegung aus Manchester weitreichenden Einfluss nahm, der sich im Gitarren-Pop ebenso niederschlug wie am Dancefloor.

Die aus der Nähe von Manchester stammende Band The Verve zählte Mitte der 90er, am Höhepunkt des Booms, neben Oasis, Blur oder Pulp zu seinen erfolgreichsten Vertretern und schuf mit der Bitter Sweet Symphony vom Album Urban Hymns (1997) eines seiner definitiven Statements. Ein Stück, mit dem die Band selbst in den USA reüssieren konnte.

Das Video zum Song zeigte den kerzengerade den Gehsteig entlangmähenden und alle ihm entgegen kommenden Passanten rempelnden Sänger Richard Ashcroft, der zu der mit Streichen opulent arrangierten Nummer so etwas wie ein Sinn- und Stimmungsbild jener Zeit ablieferte: Den Hochmut vor dem Fall. 1999 lösten sich The Verve auf, und Ashcroft startete eine Solokarriere.

Heuer hat sich die Band wiedervereint, heute erscheint das insgesamt vierte und deshalb Forth benannte Album von The Verve. "Same old" , könnte man, wie der HipHop sagt, urteilen.

The Verve pflegen auf Forth ihren bekannten Sound mit großer - haha! - Verve, viel mehr als zufriedene Nostalgie stellt sich dennoch nicht ein. Der Album-Opener Sit And Wonder ist eine stürmende und drängende Popnummer mit grimmigen Gitarren und sicherem Instinkt für eingängige Melodien, Love Is Noise, die erste Single des Albums, sollte Coldplay-Fans ebenso gefallen wie den Veteranen unter den Hörern.

Die früher schon kritisierte naive Spiritualität in Ashcrofts Texten hat sich nicht nur auf seinen Soloalben weiter ausgewachsen, sie ist auch auf Forth omnipräsent. Das muss man also mögen. Wenn nicht, ließe sich aus Songtiteln wie Judas, Numbness oder Love Is Noise leicht ein Strick für Ashcroft drehen. Dabei ist hier kein Song wirklich schlecht.

Das sich auf über acht Minuten Dauer hochlärmende Noise Epic vermittelt gar den Eindruck, es ginge hier doch um etwas. Doch derlei Vermutungen bestätigen sich nicht wirklich. Forth ist nicht wie die früheren Werke Abbild eines Gefühls eines Teils einer Gesellschaft, es ist lediglich ein weiteres Popalbum. Das Werk alter Freunde, die es noch einmal zusammen versucht haben, es noch einmal wissen wollten. Das ist so okay wie das Resultat. Um magische Momente zu erleben, wie sie The Verve einst schufen, muss man sich heute jedoch anderswo umsehen. (Karl Fluch / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.8.2008)