"Ich halte Studiengebühren im Augenblick schlicht für falsch, nicht nur weil wir Wahlkampf haben, sondern weil sie nicht fair sind. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass wir irgendwann ein faires System von Studiengebühren haben."

Fotos: derStandard.at/Zielina

"Die Menschen, die bei uns leben, sollen in einen Dialog einbezogen werden, damit sie das Kopftuch von sich aus ablegen."

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"Das Land muss ohne FPÖ und BZÖ regierungsfähig sein."

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"Es gibt zu viele, die sagen: Das LIF wäre wichtig, aber wählen muss ich 'meine' Partei. Da muss ich schon einen sehr guten Tag haben, damit mich das nicht ärgert." Heide Schmidt, Spitzenkandidatin des Liberalen Forums, appelliert im derStandard.at-Interview, das LIF zu wählen, wenn es die Partei "politisch" weiterhin geben soll. Sie kritisiert den "ständigen Ruf nach Kostenlosigkeit", erklärt warum Frauen mit Kopftuch ein "Aha-Erlebnis" brauchen und warum "Herr Bartenstein" kein Gratis-Öffiticket bekommen soll. Die Fragen stellten Rosa Winkler-Hermaden und Anita Zielina.

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derStandard.at: "Die letzte Chance" ist der Titel eines Interviewbandes mit Ihnen, der 1999 erschienen ist - die allerletzte war es wohl doch nicht?

Schmidt: Ich hätte den Titel auch damals nicht gewählt. Ich glaube, dass sich jetzt nicht nur die Chance, sondern eine außergewöhnliche Gelegenheit und Notwendigkeit bietet. Viele spüren den Verlust der Liberalen, aber noch nie hat auch das strategische Argument so für die Liberalen gesprochen. Ich will nicht, dass die Großparteien nach der Wahl die Ausrede haben, es sei sich nur Schwarz-Blau oder Rot-Blau ausgegangen.

derStandard.at: Tut es Ihnen leid dass sie es nicht 2006 versucht haben?

Schmidt: Nein, das war eine vollkommen andere Situation. Da ging es um die Abwahl von Schwarz-Blau, und das Ziel haben wir erreicht. Daher war es auch richtig, dass wir dieses Wahlbündnis mit der SPÖ geschlossen haben.

derStandard.at: Im "Report" haben Sie vor wenigen Tagen gesagt, das LIF sei ein Angebot für die "denkenden Menschen". Finden Sie, dass alle, die das LIF nicht wählen, nicht nachdenken?

Schmidt: Wenn ich wirklich glauben würde, dass nur der kleine Prozentsatz, der uns wählt, die denkenden Menschen in diesem Land sind, dann müsste ich aus Verzweiflung auswandern. Ich habe gesagt, dass wir für Menschen, die bereit sind, Dinge zu hinterfragen und in einem größeren Zusammenhang zu sehen, ein Angebot sind. Damit will ich nicht unterstellen, dass die anderen nicht denken.

derStandard.at: In einem Interview anlässlich des 15-jährigen Jubiläums des Liberalen Forums haben Sie Gründe für das Scheitern des LIF gesucht. Sie haben gemeint, es sei dem Liberalen Forum nicht gelungen, das Wirtschaftspolitische und das Sozialpolitische zu verbinden bzw. man habe es Ihnen nicht abgenommen, beides abdecken zu können. Wie wollen Sie den Spagat jetzt schaffen?

Schmidt: Für uns ist das ja ein Selbstverständnis und kein Spagat. In der Wahrnehmung ist die Tradition in Österreich aber die, dass man das Wirtschaftspolitische den konservativen Parteien zuordnet und das Gesellschaftspolitische den progressiveren Parteien.

Ich glaube aber, dass es jetzt eine neue Chance gibt, diese Untrennbarkeit bewusst zu machen. Die Notwendigkeit für den Gesamtanspruch ist heute leichter spürbar. Auch weil bei den Konservativen des Landes immer deutlicher wird, dass sie eine Klientelpolitik machen. Das sind keine großen Themen, aber es ist für mich symptomatisch, wenn ich auf der einen Seite die Erbschaftssteuer abschaffe - bedenklich, dass hier auch die SPÖ mitgestimmt hat - und auf der anderen Seite werden die Studiengebühren eingeführt. Das ist ungefähr dieselbe Größenordnung. Man spürt die Haltung, warum das eine eingeführt und das andere abgeschafft wird: Es geht um die Verfestigung bestimmter sozialer Situationen.

derStandard.at: Sind Sie gegen Studiengebühren?

Schmidt: Ich halte Studiengebühren im Augenblick schlicht für falsch, nicht nur weil wir Wahlkampf haben, sondern weil sie nicht fair sind. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass wir irgendwann ein faires System von Studiengebühren haben. Das ist für mich kein Tabuthema. In Kanada gibt es zum Beispiel ein System, wo man später, wenn man sich in einer gewissen Einkommensklasse befindet, das Geld zurückzahlt. Ich bin aber nicht bereit, jetzt darüber nachzudenken, welches Modell tauglich ist, um jemandem die Mauer für Studiengebühren zu machen, der sie aus ganz anderen Gründen eingeführt hat.

Um auf die vorige Frage zurückzukommen: Bei der Frage der Studiengebühren gehört nicht nur dazu, dass ich sie sozial zumutbar gestalte, sondern auch, dass das Angebot, das ich dafür kriege, fair und im Gesamten austariert ist.

derStandard.at:
Aber ist es immer möglich, dass Gesamte ausgewogen zu gestalten?

Schmidt: Ralph Dahrendorf hat einmal von der Quadratur des Kreises gesprochen, man muss drei Ziele zugleich anstreben: die Wettbewerbsfähigkeit, die Grundrechtssicherheit und den sozialen Zusammenhalt eines Landes. Dabei geht aber meistens das eine auf Kosten des anderen. Länder können wirtschaftlich ganz oben sein, bei den Menschenrechten aber ganz unten. In Österreich sieht man das gleichwertige Anstreben dieser Ziele bei keiner Partei. Die einen sagen, man muss zuerst erwirtschaften, was man nachher verteilen kann. Das ist der falsche Zugang. Man muss versuchen, sich um beides gleichzeitig zu kümmern. Da kommt man zu anderen Lösungen.

derStandard.at: Was bedeutet das für die Steuerreform?

Schmidt: Die soziale Entwicklung eines Landes muss auch mit der sozialen Verantwortung der Menschen mit hohem Einkommen zusammenhängen. Deswegen bin ich stolz, dass ein Mensch wie Haselsteiner in unseren Reihen ist. Weil er nämlich nicht für den Wahlkampf Forderungen aufstellt, sondern er lebt sie und sie treffen ihn natürlich auch. Er sagt, das gehört dazu, dass jemand, der sich etwas erarbeitet hat oder privilegiert ist, auch einen höheren Anteil für das Gemeinwesen leistet.

Deswegen glaube ich, dass die Steuertarife geändert gehören, dass man einerseits die unteren und mittleren Einkommen entlastet, aber ganz oben, bei den hohen Einkommen, durchaus noch eine Steuerstufe dazu macht. Manche sagen, Letzteres bringt nicht weiß Gott wie viel, aber es wäre auch ein Zeichen für soziale Gerechtigkeit.

derStandard.at: Wären Sie in Anbetracht der Entlastung des Mittelstandes zum Beispiel für die Förderung eines Tickets für öffentliche Verkehrsmittel?

Schmidt: Als eine Lenkungsmaßnahme, um den Verkehr auf die Öffentlichen Verkehrsmittel zu verlegen, wäre ich dafür, nicht aber als eine soziale Maßnahme. Ich kann mir den Zug leisten und der Herr Bartenstein auch. Da frage ich mich: warum muss das die Allgemeinheit zahlen? In Verbindung damit, dass man eine Lenkungsmaßnahme hat, kriegt es ein bisschen einen anderen Zugang. Aber wenn ich nicht darauf angewiesen bin, greift auch die Lenkung nicht. Der Bartenstein wird nicht deshalb mit den Öffis fahren, weil es umsonst ist. Deswegen ist das für mich ein zweischneidiges Schwert.

Grundsätzlich finde ich diesen ständigen Ruf nach Kostenlosigkeit falsch. Das sage ich auch in Richtung Grüne, die ständig sagen, alles muss gratis sein, sämtliche Kindergartenjahre. Ich gehe zwar davon aus, dass, sobald ein Kindergartenjahr verpflichtend ist, es auch kostenlos ist. Auch für jene, die es sich leisten können. Aber wenn es nicht verpflichtend ist, sollen diejenigen, die es sich leisten können, einen Beitrag leisten.

Bei verpflichtenden Systemen, bei der Schule, einen Beitrag zu fordern, fände ich nicht richtig. Dafür zahlt man Steuern, für die muss man auch was kriegen.

derStandard.at: In der Frage der Verschleierung moslemischer Frauen haben Sie im "profil"-Interview eine offenere Diskussion gefordert, damit die Frauen darüber nachdenken würden, ihr Kopftuch abzulegen. Wie finden Sie es dann zum Beispiel, wenn die muslimische Sprinterin Rogaja Al-Ghasara mit einer Kopfbedeckung bei Olympia antritt, um islamischen Glauben und Erfolgsaussichten in Einklang zu bringen?

Schmidt: An sich ist es eine Demonstration. Nachdem ich eine überzeugte Anhängerin der Demonstrationsfreiheit bin, muss ich daher auch das - selbst wenn es mir nicht gefällt - akzeptieren und respektieren. Die grundsätzliche Einschätzung, dass das Kopftuch dafür steht, dass die Frau in ihren Möglichkeiten eingeschränkt wird, das können wir als relativ gesichert annehmen. Viele Frauen werden dazu genötigt, ich will nicht sagen immer gezwungen, weil der Druck durch die Tradition kommt. Aber, dass es eine Verpflichtung durch Tradition gibt, ist etwas, was gegen die Selbstbestimmung und gegen die Gleichwertigkeit der Frau verstößt.

Deshalb müssen wir diese Debatte so führen, damit die Betroffenen auch irgendwann einmal ein Aha-Erlebnis haben, damit wir ihnen den Rücken stärken, das scheint mir sehr wesentlich. Die Menschen, die bei uns leben, sollen in einen Dialog einbezogen werden, damit sie das Kopftuch von sich aus ablegen. Ich habe eine innere Aversion gegen Verbote.

derStandard.at: Kommen wir zur Zeit nach der Wahl. Haben Sie Koalitionspräferenzen?

Schmidt: Sie wissen, dass ich das in der Konkretheit nicht beantworte. Ich verstehe zwar das legitime Interesse, dass der Wähler auch wissen will, was er sich nach der Wahl einhandelt - aber es ist nicht wirklich zu beantworten. Was klar ist: Mit BZÖ und FPÖ kann es keine Koalition geben. Aber bei der ÖVP und der SPÖ ist die Grenze schwer zu ziehen. Wenn ich mir ansehe was die SPÖ mit der Kronenzeitung aufführt, ist das eine Katastrophe. Und wenn ich mir ansehe, was etwa die Frau Fekter von der ÖVP zur Fremdenpolitik von sich gibt, ist das ebenso. Kulturdelikte ins Strafrecht - Was soll das? Wir stehen sozusagen zwischen Scylla und Charybdis.

Natürlich könnte man sagen, mit all dem will ich nichts zu tun haben, und darum bleibe ich in Opposition. Das halte ich aber nicht für sehr sinnvoll. Man muss versuchen da zu korrigieren, wo man die Möglichkeit dazu hat. Das Land muss ohne FPÖ und BZÖ regierungsfähig sein.

derStandard.at: Ein User hat gepostet: "mit dem lif ist es so ungefähr wie mit dem i-phone: jeder kreischt und will es haben, weil es doch gar so chic ist. doch was es kann und ob es wirklich besser ist als anderen produkte hinterfragen nur die wenigsten". Was antworten Sie ihm?

Schmidt: (lacht) Das glaube ich nicht. Ich denke schon, dass man mit dem LIF etwas Inhaltliches verbindet, das haben wir sieben Jahre lang im Parlament bewiesen. Das mit dem Nicht-Hinterfragen ist also falsch. Womit er aber leider recht hat: Es gibt zu viele, die sagen: Das LIF wäre wichtig, aber wählen muss ich "meine" Partei. Das höre ich auch heute noch, immer wieder. Und da muss ich schon einen sehr guten Tag haben, damit mich das nicht ärgert. Denn wenn man uns nur will aber nicht wählt, gibt's uns politisch eben nicht. (derStandard.at, 26.8.2008)