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Die Tage hier an den feinsandigen Ostseestränden sind heiter. Wenn dann nur mehr wenig Zeit bleibt, den Nationalpark zu durchstreifen, sollte man wenigstens für einen Überblick die Darsser Arche besucht haben. Dieses Nationalparkzentrum in Wieck ist ohnehin bis zum Oktober täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet, über die verschiedenen
Lebensräume wird man dort gut informiert. Zurzeit
werden immer mittwochs früh von dort aus auch naturkundliche Führungen durch den Park um 6
Euro organisiert, die Voranmeldung
ist sinnvoll. www.darsser-arche.de

Reetgedeckte Dächer, die bereits von der Sonne ausgebleicht wurden und die dadurch umso bunter wirkenden Eingangstüren gehören einfach zur Region. Logisch, dass man dann auch in einem dieser Häuser wohnen will. Die Auswahl an Ferienhäusern und -wohnungen ist sehr groß (zu finden unter: www.fischland-darsszingst. de), Pensionen kommen zumeist auch in dieser Optik daher. Empfehlenswert ist etwa Captain Pahlens Landhaus in Zingst, das über 26 Appartements verfügt. Preis für eines davon: 79 Euro mit Frühstück in der Hochsaison. www.captainpahlen.de

Foto: Captain Pahlen

Dass die Ostseehalbinsel Darss-Zingst fast zur Gänze Nationalpark ist, findet auch Niederschlag in der Verkehrsanbindung – wer nicht mit dem eigenen Auto kommt, braucht jedenfalls Zeit. Hamburg ist zumindest gut mit "Billigfliegern" erreichbar, vor dort geht's weiter mit der Deutschen Bahn bis nach Barth. Vom Festland (ab Barth und Ribnitz-Damgarten) fahren regelmäßig Busse auf die Halbinsel, den genauen Fahrplan für den Nahverkehr findet man unter der Adresse: www.nvp-bus.de Fahrräder, die im Normalfall ausreichen, werden dort an mehr als dreißig Standorten vermietet.

Grafik: DER STANDARD

Badetouristen ziehen an schönen Sommertagen vom Darsser Leuchtturm mit Sack und Pack durch feinen weißen Sand zum Strand hinunter. Nur das Wildschwein, das umherwuselt – mal zum Wasser, mal zum Turm – scheint nicht recht ins Bild zu passen. Unser Begleiter Friedhelm Barth allerdings sagt, das passe schon so. So versichert er uns, das Tier, eine ausgewachsene Wildsau, gehöre zum gewachsenen Wildbestand auf dem Darss und wisse das Zubrot zu schätzen, das ihm die Badegäste in Form von Brot oder Obst zukommen ließen. Friedhelm Barth muss es wissen, er ist Parkranger im Nationalpark Vorpommersche Boddenlandschaft an der Ostseeküste von Mecklenburg-Vorpommern.

Während wir Wildschwein und Badetouristen weiter ziehen lassen zum Badestrand am Darsser Ort, steuern wir bereits den Weststrand an. Der Ranger fragt uns, ob wir wüssten, was dieser Strand und die Copacabana gemeinsam hätten. Wir wissen es natürlich nicht. "Der Darsser Weststrand gehört mit jenem von Rio de Janeiro zu den zwanzig großartigsten und herrlichsten Stränden der Welt", erklärt unser Begleiter. Das sei natürlich nicht die Meinung eines heimatverliebten Rangers aus Vorpommern, setzt er dann lächelnd hinzu, als er unsere ungläubigen Mienen sieht, das sei in einer Fernsehsendung des Senders Arte im letzten Jahr erausgekommen. Dabei waren nicht etwa Sonne, endloser feinsandiger Badestrand und malerische Palmen unter einem ewig blauen Himmel die entscheidenden Kriterien gewesen, sondern die Ursprünglichkeit.

Das Wesen des Werdens

Das natürliche WesenvomWeststrand ist groß. So groß, dass er sich nicht einmal unbedingt als Badestrand anbietet, dafür aber umso mehr zum Staunen bei Strandwanderungen,
die kaum irgendwo anders an der deutschen Ostseeküste eine derartige Fülle von Eindrücken des Werdens und Vergehens einer Küste vermitteln wie hier.

Ruhelos pocht das Meer gegen das Ufer, reißt an der einen Stelle Sand, Steine und Bäume mit sich, spült dafür an anderer Stelle wieder Sand auf und baut so allmählich das Land immer weiter ins Meer hinaus. Als wir später vom Darsser Leuchtturm zurück nach Prerow radeln, fällt uns im dichten Wald eine Tafel auf, die anzeigt, dass noch vor wenigen Jahrhunderten hier die Küstenlinie lag, mehr als einen Kilometer von der heutigen entfernt.

Urwüchsigkeit ist auf dem Darss überall gegeben, jenem Wald-, Dünen und Küstengebiet an der Ostsee, das den mittleren Teil der lang gezogenen Halbinsel Fischland-Darss-Zingst einnimmt und mit dem ähnlich strukturierten Zingst Teil des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft ist. Selbst Prerow, der wichtigste Badeort auf dem Darss, fällt noch immer durch seine Ursprünglichkeit auf. Das mag an den vielen mit Rohrschilf gedeckten Häusern liegen, die immer noch an die Fischerhäuschen der Vergangenheit erinnern. Recht bunte Souvenirs aus einer Zeit, als Prerow noch Fischerdorf gewesen ist, sind aber auch die
in kräftigen Farben strahlenden, immermit Sonne und Lebensbaum verzierten Haustüren im Dorf.

Natürlich hat Prerow nicht nur den rauen Natur-Badestrand am Darsser Ort – vier Kilometer vom Dorf entfernt und nur zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit der Kutsche erreichbar. Den anderen, den "richtigen" Strand kannmaninwenigen Minuten erreichen, muss dafür allerdings auf die Gesellschaft des fotogenen Wildschweins verzichten. Das Wahrzeichen dieses Strandes ist eine 345 Meter lange Brücke in die Ostsee hinaus.

Ausweich- und Ruhezonen

Wem hier zu viel Betrieb ist, der kann leicht nach links und rechts ausweichen, kilometerweit, vor allem in Richtung des benachbarten Zingst, des östlichsten Teiles der Halbinsel. Allerdings setzt der Nationalpark einem durchgängigen Strandwandern Grenzen. Immer wieder sind Abschnitte für Badetouristen oder Strandwanderer gesperrt,
sind als Ruhezonen für Wasser- und Küstenvögel wie den Strandregenpfeifer geschützt.

Der Darss ist gleichsam der feste Boden des Nationalparks, denn den weitaus größeren Teil machen die Wasserflächen der Bodden aus. Lagunen in der Ostsee sind das, genauer gesagt: die einzigen Kaltwasserlagunen Europas. Diese Wasserflächen sind an manchen Stellen nur dreißig Zentimeter tief, an anderen bis zu drei Meter. Große Schifffahrt ist hier nicht möglich, nur kleine Ausflugsboote können zwischen Prerow, Barth und Zingst pendeln, oder Sportboote, die aber nicht so sehr wegen der Wassertiefe als vielmehr durch die Schutzvorschriften des Nationalparks in ihrer Bewegungsfreiheit zurecht eingeschränkt werden.

Die Inseln Oie und Kirr sind europaweit einzigartige Sammelplätze seltener Vögel. Während der Zugzeit im Herbst treffen auf Kirr und Oie und in der Umgebung wie bei Bresewitz mehr als 40.000 Kraniche ein.Manchemdieser größten Zugvögel hat es hier so gut gefallen, dass er das Ziehen aufgegeben und sich dauerhaft zum Bleiben entschlossen hat.

Als wir am frühen Morgen in Bresewitz in der Veranda unseres Hotels beim Frühstück sitzen, hören wir über uns die markanten Rufe der Kraniche, die ihrerseits gerade vom Frühstück zurück zu ihrem Brutplatz fliegen. Hätten wir nicht bereits von Friedhelm Barth erfahren, dass diese Rufe von den seit der Antike verehrten Vögeln kommen, müssten wir annehmen, jemand versuche auf einer verrosteten Trompete zu blasen.

Wenn wir den Schrei der Kraniche mit dem Horn eines heranfahrenden Zuges verwechselt hätten, wären wir nicht einmal so falsch gelegen. Vor Jahren war das kleine Dorf auch Haltestelle der Züge, die von Berlin direkt nach Prerow fuhren. Das ist vorbei, geblieben ist nur die Meiningen-Brücke, die einst auch die Eisenbahn nutzte und damit die Wasserenge zwischen Bodstedter und Barther Bodden querte. Ob der Wildschweine oder wilden Strände wegen – die Menschen kommen heute nur noch mit dem Auto. (Christoph Wendt/DER STANDARD/Printausgabe/22./23.8.2008)