Wien - Der Russland-Experte Gerhard Mangott erwartet, dass die Europäische Union nach der Anerkennung Südossetiens und Abchasiens durch Russland die Gespräche über ein Partnerschaftsabkommen mit Moskau sistieren wird. Dies scheint "sehr wahrscheinlich zu sein", sagte Mangott am Mittwoch im Ö1-Morgenjournal des ORF-Radios. Außerdem dürfte die EU bei ihrem Sondergipfel zum Kaukasus-Konflikt die Ukraine mit einem umfassenden Annäherungsprogramm für sich reklamieren.

"Russisches Staatsgebiet erweitert"

Die Anerkennung der beiden abtrünnigen georgischen Republiken zeige, dass Russland die Beziehungen zum Westen "als zerrüttet ansieht". Grundsätzlich sei das Kosten-Nutzen-Kalkül für Moskau durch diesen Schritt nämlich "ein eher Nachteiliges". Allerdings habe man dadurch zumindest "russisches Staatsgebiet erweitert", da der Anschluss der beiden Republiken an Russland gewiss scheint, sagte Mangott.

Russland habe im Fall des Kosovo und Georgiens "eine rote Linie gezogen", die der Westen durch die Unabhängigkeit der südserbischen Provinz und die NATO-Beitrittsperspektive für die frühere Sowjetrepublik überschritten habe, erläuterte Mangott das Verhalten Moskaus. Indem nun Südossetien und Abchasien als unabhängige Republiken anerkannt werden, sei "jeder westliche Anspruch, dort eine Präsenz aufzubauen, dahin".

EU zu schärferer Reaktion gezwungen

Umgekehrt sei zu erwarten, dass die EU nun "ein umfassendes Programm für die Annäherung der Ukraine ausarbeiten wird", um zu zeigen, wo es die Grenze des eigenen Einflussgebiets sehe. "Das ist die Ostgrenze der Ukraine." Der Schritt Moskaus zwinge die EU, "schärfer zu reagieren als man es ursprünglich vorgehabt hatte".

Die Anerkennung Südossetiens und Abchasiens ist auch ein Zeichen, dass Russland die Unabhängigkeit des Kosovo als Faktum akzeptiert hat, zumal sich auch die Regierung in Belgrad damit abgefunden habe, sagte der Politologe an der Universität Innsbruck. Den Westen sieht er vor dem Hintergrund der Kosovo-Unabhängigkeit in einem gewissen "argumentativen Widerspruch". "Es ist machtpolitisch schwer zu argumentieren, wo hier ein Unterschied sein sollte." Entweder man ist in beiden Fällen (Kosovo und Abchasien/Südossetien) für eine Unabhängigkeit, oder eben in beiden Fällen dagegen, betonte Mangott.

Pöttering für weitere EU-Verhandlungen

EU-Parlamentspräsident Hans-Gert Pöttering macht sich hingegen trotz der angespannten Situation für die Fortsetzung der Verhandlungen über ein neues EU-Partnerschaftsabkommen mit Moskau stark. Dies müsse "gleichwohl Perspektive bleiben", sagte Pöttering am Mittwoch in Brüssel. Vom EU-Sondergipfel am Montag erwartet er eine "Doppelstrategie" der Europäer, mit "klarer Sprache" der Verurteilung Russlands und weiterer Dialogbereitschaft gegenüber Moskau.

"Wir würden in eine dramatische Zukunft hineingehen, wenn Russland und die Europäische Union nicht partnerschaftliche Beziehungen haben", sagte Pöttering. Die EU dürfe "die Türen für Dialog und Partnerschaft nicht zuschlagen", warnte der EU-Parlamentspräsident. Russland sei die zweitgrößte Nuklearmacht der Welt und der größte staatliche Akteur auf dem europäischen Kontinent. Die EU müsse auch eine Analyse ihrer Erdgas-Abhängigkeit von Russland machen und langfristig ihre Energieversorgung diversifizieren, forderte der deutsche Christdemokrat.

Wenn sich der EU-Gipfel am Montag auf eine Sprache zur Verurteilung des russischen Verhaltens in Georgien einige, habe dies "schon hohen Wert", sagte Pöttering. "Wir müssen Russland in aller Deutlichkeit klar machen, dass es auch Grenzen gibt." Die EU müsse müsse sowohl den russischen Einmarsch in Georgien als auch die völkerrechtliche Anerkennung der beiden Provinzen verurteilen. Die russische Anerkennung widerspreche internationalem Recht. "Die Verantwortung für die Entwicklung liegt bei Russland", unterstrich Pöttering. Der georgische Präsident Michail Saakaschwili habe mit seiner Militäraktion zwar "einen schweren Fehler begangen". Der Angriff Russlands auf Georgien aber "wiegt sehr viel schwerer", sagte er.

(APA/red)